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Life is too short for boring stories

Und mit einem Mal wurde Klara bewusst, dass es gehen könnte, weil sie sich vorstellte, dass sie ihre Sorgen und Nöte mit jemanden teilen konnte, mit jemandem, der ihre Arbeit verstand und auch, dass sie mitten in der Nacht aufstand, weil ihr ein Notfall gebracht wurde. Warum sollte es nicht möglich sein, sich nach wie vor in der gleichen Weise zu engagieren und trotzdem eine innige Beziehung zuzulassen, gerade mit einem Menschen, der genau verstand, was in ihr vorging, wie sehr sie berührt wurde und sie wohl auch manchmal zurückholte, wenn sie sich zu tief darin vergrub, wenn sie eine gesunde Distanz verlor und sich die Vorkommnisse zu nahekommen ließ. Wie viele Menschen hatte sie schon erleben müssen, die sich völlig in der Aufgabe aufgaben? Und wie stand es um sie selbst? Nagte nicht das Versagen noch immer an ihr, das, den kleinen Fuchs nicht beschützt zu haben? War sie nicht so verbissen gewesen während der letzten zehn Jahre, weil sie meinte, etwas wieder gut machen zu müssen, was nicht wieder gut zu machen war? War es nicht das, was sie dringend brauchte, jemanden, der es ihr ermöglichte, eine gesunde Distanz zu wahren, ohne die Verbundenheit zu verlieren? Aber war es dann nicht auch ein wenig so, als würde sie Stefan benutzen?

Lange hatte Karla in Gedanken versunken dagesessen. Stefan hatte es ausgehalten, dieses Schweigen, aus dem er in den inneren Zwiespalt lesen konnte. Er war ein sehr feinfühlender, junger Mann und konnte gut nachvollziehen, was in Klara vorging. Deshalb gab er ihr die Zeit, die sie brauchte. Endlich kehrte sie auch mental zu ihm zurück, bereit, sich ihm zu öffnen. All die Zweifel und Fragen, die Hoffnungen und Möglichkeiten legte sie ihm offen dar. „Ich denke“, sagte Stefan zuletzt, „All das ist mir in der oder in einer ähnlichen Form bereits durch den Kopf gegangen. Deshalb verstehe ich es gut. Ich bin bereit, wenn Du es bist. Denn all das, was ich für Dich sein könnte, kannst auch Du für mich sein.“ So wurde aus einer Zusammenarbeit ein Zusammensein in allen Facetten. Klara war sehr dankbar, dass sie nicht von vornherein abgelehnt hatte. Die Bürde, die sie bisher alleine getragen hatte, wurde nun auf weitere Schultern verteilt. Sie fühlte sich leichter, beschwingter und fröhlicher. Und vor allem, es gelang ihr, sich selbst zu vergeben, dass sie ihren Fuchs nicht retten konnte. Stefan jedoch wusste sich sowohl der Arbeit als auch ihr verbunden. Es war ein Ankommen und Bleiben und Verbunden-sein, wie er es sich immer gewünscht hatte. Alles schien perfekt zu sein.

Natürlich blieben Beate, die schon seit Längerem in Stefan verliebt gewesen war, die Veränderungen nicht verborgen. Sie machte zwar ihre Arbeit gewissenhaft, aber mit einer ungesunden inneren Distanz, denn es war nicht der Grund, der sie dazu veranlasst hatte, diese Arbeit anzunehmen, sondern es war Stefan gewesen. All die Zeit hatte sie gehofft, er würde genauso empfinden wie sie. So lange Klara und Stefan noch kein Paar waren, konnte sie diese Hoffnung aufrechterhalten, doch in dem Moment, in dem die beiden sich zueinander bekannten, platzten ihre Träume wie Seifenblasen. Was blieb, war zu wenig, um die Arbeit fortzuführen. Als sie eines Morgens nicht beim Frühstück erschien, ging Klara in die Räumlichkeiten, die Beate bewohnt hatte. Alles war sauber und ordentlich, doch es fand sich kein Anzeichen, dass hier jemand gewohnt hatte. Klammheimlich hatte sie offenbar ihre Sachen gepackt und hatte den Hof verlassen. „Sehr schade“, sagte Klara zu Stefan, als sie ihm von der Entdeckung berichtete. „Ja, aber es war absehbar“, erwiderte Stefan zu Klaras Überraschung. „Wie meinst Du das?“, fragte sie deshalb. „Hast Du es denn nicht bemerkt?“, meinte er, amüsiert über ihre Naivität, „Sie hat sich nicht so in die Arbeit gekniet, weil es ihr um die Tiere ging, zumindest nicht primär, sondern, weil sie mich beeindrucken wollte, um mich für sich zu gewinnen. Es ist vielleicht nicht gut, sich zu sehr in der Aufgabe zu verlieren, aber es ist ebenso wenig auf Dauer nicht möglich, eine solche zu übernehmen, wenn man eine zu große Distanz dazu aufrecht erhält.“ „Das bedeutet, es gilt eine gesunde Mischung von Nähe und Distanz zu finden. So viel Nähe, dass man sich identifizieren kann und sein Bestes gibt, ja versteht, was der andere braucht, aber genügend Distanz, um sich von dem Mitfühlen nicht verschlingen zu lassen“, fasste Karla ihre Überlegungen zusammen. „Du sagst es“, gab ihr Stefan recht, „Ein gesundes Verhältnis von Nähe und Distanz ist es, was es ausmacht.“


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