novels4u.com

Life is too short for boring stories

Ausgangslage

Eine Frau sitzt im Kaffeehaus. Sie ist nett und adrett gekleidet, um die 50 Jahre alt, aber man sieht ihr an, dass sie für ihre Garderobe nicht viel Geld ausgibt. Ob es daran liegt, dass sie es sich nicht leisten kann oder nicht leisten will, ist daraus natürlich nicht ersichtlich. Dass sie von den meisten in das „Die hat nicht viel“-Eck gestellt wird, ist eine andere Geschichte. Das Kaffeehaus ist gut besucht und kein einziger Tisch mehr frei, als eine Dame erscheint, deren Garderobe und Auftreten das genaue Gegenteil von ersterer ist. Es wirkt teuer, von der Schuhspitze bis zur Frisur. Man merkt die Wirkung, denn der Kellner, der umgehend erscheint, gibt sich extrem devot.
„Gnädige Frau“, meint er, „Ich bin untröstlich, aber wir haben leider keinen einzigen freien Tisch.“


„Kann ich mich nicht hier dazusetzen“, fragt diese, „Ich brauche unbedingt einen Kaffee.“
„Selbstverständlich, wenn es Ihnen nichts ausmacht“, erklärt der Kellner mit einem abschätzigen Blick auf die Frau, die dort sitzt und ohne sie zu fragen. Zuletzt weist er sogar auf sie und meint, „Die wird sowieso gleich gehen, sie hat schon ausgetrunken.“
„Bringen Sie mir noch einen doppelten Espresso“, lässt sich daraufhin diese vernehmen, sehr zum Verdruss des Kellners, der die Frau, die wohl nicht seinem Bild eines anständigen Gastes entspricht, am liebsten losgeworden wäre. Doch etwas an ihr irritiert ihn. Normalerweise erlebt er arme Menschen als zurückhaltend und leicht einzuschüchtern, aber diese hier verfügt über eine seltsam unaufdringliche Autorität, die er nicht zu bestimmen weiß.
„Ich will eine Latte Machiatto und eine Malakofftorte“, gab nun auch die andere Dame ihre Bestellung auf, woraufhin sich der Kellner kurz verbeugte, allerdings nur gegenüber der augenscheinlich reichen Frau, bevor er entschwand. Bis das Gewünschte gebracht wurde, herrschte Stille am Tisch. Beide ließen den Blick durch den Raum schweifen.

Szene I.

„So viele Menschen sitzen im Kaffeehaus an einem Mittwoch-Vormittag. Wieso haben sie Zeit dafür, mitten unter der Woche? Gehen die alle keiner geregelten Arbeit nach?“, fragte die zweite Frau unvermittelt.
„Wieso? Sie sitzen ja auch hier. Gehen Sie von Ihrer eigenen Situation aus?“, erwiderte die erste amüsiert.
„Was für ein Nonsens. Bei mir ist das was anderes. Schließlich arbeite ich in der Führungsetage“, erklärte sie mit all der Arroganz, die der Bourgeoise eigen ist, „Aber der Pöbel, der hat zu arbeiten. Keine Disziplin. Kein Leistungswille mehr. Und wer ist schuld daran? Die Sozialgesetzgebung, denn sobald es den Menschen ohne Arbeit gut geht und sie zu essen haben, werden sie auch nicht arbeiten, so ist der Mensch nun mal, also der Pöbel. Die haben keine intrinsische Motivation. Wie sagten schon unsere Altvorderen? Man darf den Arbeitern nur so viel zahlen, dass sie ihr Leben bestreiten können. Wenn man ihnen mehr zahlt, sagen wir mal, den Lohn, den er normalerweise für zwei Tage lukrieren würde, an einem Tag gibt, dann würde er am zweiten nichts mehr arbeiten. Das ist eine reine Erziehungsmaßnahme. Ganz am Anfang, da mussten die Menschen noch an die Maschinen angekettet werden, damit sie dran bleiben. Man stelle sich vor, sie lebten wie das Vieh von einem Tag auf den anderen. Zum Glück wurde ihnen schnell klar, dass, wenn sie nicht mehr zur Arbeit kämen, andere ihren Platz einnehmen, so dass sich das Problem von selbst erledigte. Aber bis man sie so weit hatte, das war schlimm. 16 Stunden Arbeit am Tag und das sieben Tage die Woche, das sollte wieder eingeführt werden. Dann hätten wir kein Problem und gerade so viel zahlen, dass es zum Leben reicht. So sehe ich das. Dann kommen sie nämlich auch nicht auf blöde Gedanken. Es ist allerhöchste Zeit, dass diese verweichlichenden Gesetze für die Leute wieder zurückgenommen werden. Zum Glück haben wir eine starke konservative Mehrheit, die alles tut, was man kann, um das aufzulockern.“

Hier geht es zu Teil 2.


Entdecke mehr von novels4u.com

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Kommentar verfassen