„Das bedeutet, nur eine Lohnsklavin ist ein guter Lohnempfängerin? Das Problem ist nur, was sie völlig außer acht lassen, dass der Großteil der Gesellschaft aus Lohnabhängigen besteht, die sie am liebsten wie Sklaven wieder anketten möchten, die aber gleichzeitig die Konsumentinnen sind, die diese Produkte, die erzeugt werden, konsumieren müssen, damit die Eigentümerinnen der Produktionsmittel weiter den Mehrwert abschöpfen können. Ohne Konsumentinnen kein Absatz und ohne Absatz kein Umsatz. Wer soll das Klumpat kaufen, das in solchem Übermaß produziert wird, ohne Rücksicht auf Verluste, die Natur und die Tiere und die Menschen zerstörend.
Die Sozialgesetzgebung, die Sie so verdammen, hilft letztlich den Kapitalistinnen in ihrem Fortschreiten, denn nur, wenn die tatsächlich arbeitenden Menschen genügend Zeit haben, zu konsumieren und ihren Freizeitvergnügungen nachzugehen, kann auch mehr auf den Markt gebracht werden. Und damit die Lohnabhängigen nur ja nicht auf die Idee kommen, dass sie ihre Freizeit dazu nützen sich weiterzubilden oder sich politisch zu betätigen, werden sie dazu angehalten, zu konsumieren und sich zu vergnügen. Und das funktioniert auch sehr gut. Das hat der Kapitalismus sensationell hinbekommen, dass nun alle meinen oder sehr viele, man ist was man hat und nicht man ist was man ist. Während sie sich alle gegenseitig bekämpfen, nur daran denken, wie man selbst besser aussteigt, sehen sie nicht, wie sie darüber krank werden. Eine kranke Gesellschaft, die die Menschen zu egozentrischen, aber gleichzeitig unterwürfigen Individuen macht, die bereit sind zu jedem Verrat, so lange es dem eigenen Fortkommen dienlich ist. Wäre aber nicht das Fortkommen relevant, sondern das Leben an sich, würde der unnötige Konsum aufhören.“
„Und Arbeitsplätze verloren gehen“, vollendete die erste Dame den Satz, „Bei aller Herabwürdigung, vergessen Sie aber darauf, dass die von Ihnen so geschmähten Eigner der Produktionsmittel, die Verantwortung tragen, den Überblick haben und nur sie in der Lage sind, das Vermögen richtig zu verwalten. Der Pöbel ist doch viel zu blöd dafür.“
„So sprach der Kapitalist zum Kirchenmann, halt Du sie dumm, ich halt sie arm“, ergänzte zweite Dame, „Die Kirche hat zwar nicht mehr so viel zu sagen, aber an ihre Stelle traten die Verblödungsmedien. Und wie schaut es mit der Verantwortung aus? Firmen werden in den Konkurs gemanagte, woraufhin die Menschen auf der Straße stehen und die hochgelobten Verantwortungsvollen frisch fröhlich weiterziehen, um ihr Zerstörungswerk fortzusetzen. Und während die Menschen, die tatsächlich arbeiten, verzweifelt einen anderen Posten suchen, wird fleißig weiterspekuliert und vor allem verspekuliert. Sie hinterlassen verbrannte Erde, die andere neu aufbauen müssen.“
Der Kaffee wird gebracht, sorgfältig für die Dame, die reich wirkt, schluddrig für die andere.
„Das ist doch ein alter Hut und längst wiederlegt, die Ammenmärchen über böse Spekulanten. Sie bewegen sich alle innerhalb des gesetzlichen Rahmens. Dass der nicht überall gleich ist, dafür können sie ja nichts. Und wie hat der gute Adam Smith schon gesagt? Die unsichtbare Hand des Marktes regelt alles von ganz alleine, man muss sie nur machen lassen. Alle Eingriffe und Reglementierungen sind schädlich und bringen das Gleichgewicht in Unordnung“, warf zweite Dame geziert ins Gespräch.
„Adam Smith, auf den sich die Liberalen gerne berufen, hat von 1723 bis 1790 gelebt, d.h. die wirtschaftlichen Möglichkeiten haben sich seitdem sehr verändert. Was für England des 18. Jahrhunderts gegolten hat, gilt heute nicht mehr. Sie nehmen ihn als Aufhänger, dass zwar die nationalen Ordnungen die Wirtschaft schützen, die Wirtschaft aber grenzüberschreitend sämtliche Möglichkeiten ausschöpfen darf. Was sie machen wollen, soll geschützt werden. Wo sie sich eingeschränkt fühlen, verlangen sie Freiheit. Dabei wird aber gerne übersehen, dass eben jener Adam Smith nicht nur für die Abschaffung von Preis- und Lohnordnung, gegen Zünfte und Privilegien auftrat, sondern auch gegen Monopole. Da wird nach Rosinen gepickt, denn wenn der gute Mann, der allerdings Moralphilosoph war und kein Ökonom, tatsächlich als Aufhänger genutzt wird, darf es nicht möglich sein, dass die globale Weltwirtschaft in der Hand weniger riesiger Firmen ist. Damit verfügen diese über eine solche Marktmacht, dass sie ganze Regierungen kaufen können und das wahrscheinlich aus der Portokassa. Da wird nicht die Regenwaldabholzung unterbunden, sondern die beseitigt, die dagegen auftreten. Ganze paramilitärische Organisationen werden für die Ausrottung indigener Völker angeheuert. Ich denke nicht, dass das im Sinne von Adam Smith war, gewesen sein kann. Aber gehen wir zurück zu den Spekulationen. Nach wie vor darf auf Grundnahrungsmittel Wetten abgeschlossen werden – und das Spiel an der Börse ist nichts anderes als Wetten. Da kann es dann schon mal passieren, dass in Ecuador das Getreide plötzlich um 30% teurer ist. Je nachdem, wie der Spekulant gewettet hat, gewinnt oder verliert er. Zumeist hat er noch ein Absicherungsgeschäft gemacht. D.h. sein Risiko ist minimal, die Gewinnchancen hoch. Doch was bedeutet das für die Menschen in diesem Land? Was hat es für Auswirkungen, wenn quasi über Nacht ein Grundnahrungsmittel um 30% teurer wird, auf Menschen, die nur über das Existenzminimum verfügen? Richtig, sie werden verhungern. Aber für den Yuppie, der in New York in seinem Loft sitzt und auf Knöpfchen drückt, ist es ein Spiel. Für andere geht es um Leben und Tod. Das scheint egal zu sein, aber wenn jemand kommt und verlangt, dass von diesen Gewinnen – die trotzdem nicht als arbeitsloses Einkommen gewertet werden – eine Finanztransaktionssteuer von nur 0,1% erhoben werden soll, wird sofort von Diktatur und unverhältnismäßigen Eingriffen in den freien Markt gewettert. Kurz gesagt: Freier Markt ja, aber nur da, wo es dem Kapital nützlich ist. Dem widerspricht jeder Versuch auf Natur- oder Artenschutz. Der Kapitalismus frisst alles weg, wie ein unersättliches Ungeheuer, letztlich die Grundlage des eigenen Fortkommens. Er frisst sich selber auf, indem er alles ausbeutet, was ausbeutbar ist, ganz gleich, ob es Natur, Tier oder Mensch ist. Alles muss sich dem Nützlichkeitsfaktor unterwerfen und wird dementsprechend beurteilt“, konnte sich erstere nicht enthalten zu sagen.