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Life is too short for boring stories

Für Dich, der Du mir zeigst, dass Hoffnung niemals vergeblich ist!

Offenbar habe ich sogar im Wetter einen Verbündeten gefunden, denn die Sonne schien strahlend, begleitete mich auf meinem Weg, der mich letztendlich doch noch zu Dir führt, irgendwann. Die Sonne und meine unerschütterliche Hoffnung in diesem Irgendwann wieder bei Dir sein zu dürfen, begleiteten mich.

Mein Weg führte mich von dem kleinen Städtchen Portobuffalé nach Venedig, weg von einem kleinen, verträumten Städtchen, hin zu einer großen, pulsierenden Stadt, voller Hunger und Touristen. Ich suchte mir ein Zimmer, ein wenig außerhalb, und durchstreifte diese wohlbekannte, und doch immer neuentdeckte Stadt, wobei ich bewusst die großen, populären Plätze mied und mich durch die kleinen, engen Gassen bewegte, über scheins unzählige Brücken, vorbei an mindestens ebenso vielen Brunnen und Kirchen. Für einen Außenstehenden wirkt es, als würde Venedig aus drei Dingen bestehen: Brücken, Brunnen und Kirchen, und wo sich dazwischen noch Platz fand, wurden ein paar Wohnhäuser hingebaut. So oft ich auch schon da war, so oft finde ich etwas Neues, etwas, was ich – warum auch immer – bisher übersehen hatte, was mich aufs Neue staunen ließ.

Umso weiter ich mich von den ausgetretenen, touristischen Trampelpfaden entferne, umso weiter ich in die Stadt eindrang, desto ruhiger wurde es um mich herum. Menschen umgaben mich nach wie vor, aber es sind nicht Menschen in der Ausnahmesituation einer Urlaubsreise, wie es wohl so oft zu sein pflegt, Menschen, die bestrebt sind, um jeden Preis etwas Außergewöhnliches zu erleben, um die lange Anreise und noch längere Vorfreude zu rechtfertigen. Etwas Außergewöhnliches, Sensationelles muss passieren, und wenn es nicht von selbst passiert, dann muss etwas dazu gemacht werden, aufgebauscht und aufgebläht zu diesem besonderen Erleben.

Ich lasse mich ein, auf diese Stadt, die im Grunde so vorbelastet ist, dass ich zunächst vieles hinter mir lassen muss, um zu ihr selbst vorzudringen. So wie ich lange, allzu lange brauchte, um meinen Blick für Dich freizubekommen. So viele Bilder, so viele Vorerfahrungen aus alle den vergangenen Lebensjahren mussten beiseitegeschoben werden, um zu verhindern Dich in ein Schema einzupassen, in das Du nicht gehörst, denn Du bist an sich, und wert ohne Vorgaben gesehen zu werden, nein mehr, es kann keine andere Weise geben, will ich Dir gerecht werden. Den Schleier beiseitezuschieben, Dich selbst zu sehen, schonungslos, in Deinem So-Sein, so wie Eva ihren Adam erkannte, nicht, dass er nackt war, aber dass er er war.

Wie lange habe ich dafür gebraucht dies zu verstehen? Wie viel Schmerz musste durchlitten werden, wie viele dunkle Nächte mussten durchwandert werden, um zu solch einer lapidaren Erkenntnis zu gelangen? Wie viel Unrecht habe ich Dir angetan, aus den lautersten Motiven, denn wenn Du was sagst, was ich aus meinen Erfahrungen kenne, dann ist es noch lange nicht das Gesagte aus dieser Erfahrung, die ich eins zu eins auf Dich von jemand anderen, in diese Situation aus einer anderen übertragen könnte, und dennoch habe ich es getan, immer und immer wieder, ohne es auch nur zu sehen, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass es nicht Du bist, nicht Jetzt ist, worüber zu urteilen ich mir anmaße. Himmelschreiendes Unrecht geschieht, Tag um Tag, mit aller Unschuld und aller Verbindlichkeit.

Du hast mich fortgeschickt, denn Du hattest vor noch drei Dinge zu erledigen. Ich habe mich fortgeschickt, und ich meinte einfach eine Reise zu tun, und wusste nichts davon, wollte wohl auch nichts davon wissen, dass ich auf dieser Reise nicht nur drei, sondern wahrscheinlich sehr viel mehr Dinge zu erledigen hatte, dass sich diese Dinge allerdings erst offenbarten, als ich mich auf dem Weg machte, als ich diesen Weg wirklich ging, einen Weg, der mich zwar vordergründig, als letzte Station nach Ravenna führen würde, aber im Grunde noch viel weiter, oder wahrscheinlich noch viel näher, zu mir und zu Dir, und wo ich erkenne, wird ein Wir möglich. Ich will nicht länger etwas zwischen uns stehen wissen. Wenn Du Deine drei Dinge erledigt haben wirst, wenn wir uns wiedersehen, dann kann ich sagen, dass ich Dich sehe, in aller Ursprünglichkeit und aller Unvoreingenommenheit.

Umso mehr ich mich von den touristisch ausgetretenen Trampelpfaden entferne, desto ruhiger wird es um mich herum, aber auch geschäftiger. Die Menschen gehen ihren täglichen Verrichtungen nach, ruhig und gelassen, nichtsdestoweniger zielstrebig. Ich lasse mich forttreiben von diesem Strudel an Geschäftigkeit, beobachte all die Menschen, die an mir vorbeikommen, langsam oder eilends, vergrämt oder gut gelaunt, aber alle mit ihrer je eigenen Geschichte. Wohin das Leben treibt – jede dieser Geschichten ist wert erzählt zu werden, und am liebsten würde ich sie alle hören, so unspektakulär und einförmig sie auch immer erscheinen mögen, so strahlen sie doch in ihrer Einzigartigkeit. Am liebsten würde ich jeden Einzelnen anhalten, und sagen: „Komm, setz Dich zu mir und erzähl mir diese, Deine Geschichte.“ Ich weiß schon, dass das nicht geht, dass ich wahrscheinlich spätestens nach dem dritten Versuch für verrückt erklärt werden würde. „Warum gerade meine Geschichte?“, würde ich im besten Fall wohl gefragt werden, „An der ist doch nichts Besonderes.“ Und doch hat jede einzelne dieser Lebensgeschichten etwas ganz Besonderes, etwas, das sie auszeichnet, und zwar, dass sie von diesem einen, diesem Menschen gelebt wird, inmitten aller Verflechtungen.

Erst, wenn ich Deine Geschichte kenne, bist Du herausgehoben aus der Masse all der anderen Menschen und Gesichter, wirst mir Du.

Ich will nun doch nicht mehr jede Geschichte hören, sondern nur die eine, Deine, denn trotz allem weiß ich immer noch viel zu wenig von Dir, und diese Lücke wird nie ganz gefüllt werden, erzähl mir Dich.

Diese Stadt ist bevölkert von Menschen, die auch wohl Angst davor haben die ausgetretenen touristischen Trampelpfade zu verlassen. Canale Grande, Rialtobrücke, Markusplatz, das muss man gesehen haben, das muss man benennen können, denn nur wovon die anderen, denen man erzählt, einen Begriff haben, davon kann man reden. Alles andere muss man immer so unendlich lange erklären, unerträglich lange. Natürlich, wenn man eine Reise tut, vorzüglich in eine Stadt, die so vorbelastet ist, dann will man etwas Besonderes, etwas Herausragendes gesehen haben. Natürlich, es kennt jeder, und bei Dingen, die jeder kennt, hat man die Sicherheit, sich als Kenner darzustellen. So rennen sie herum, ständig den Blick durch das Objektiv ihrer Kamera, und fotografieren wild drauf los, oft ohne auch nur einen einzigen Blick auf das Motiv zu verlieren.

Ich habe nichts Grundsätzliches gegen das Fotografieren, und es gibt viele Dinge, Ereignisse, über die ich froh bin, wenn sie dokumentarisch festgehalten sind, so wie ich froh bin, ein Foto von Dir in meiner Tasche zu haben, obwohl ich Gott sei Dank nur selten draufschauen muss. Nicht, weil ich Dich nicht sehen will, ganz im Gegenteil, aber die wirklich lebendigen Bilder von Dir, die sind in meinem Kopf. Vieles davon, was sich photographisch hätte gar nicht festhalten lassen, lebendige, wärmende Bilder. Sie sind da, viel mehr wohl als mir selbst bewusst ist, denn sie tauchen dort auf, wo sie stimmig sind. Eindrücke, die sich nicht wirklich festmachen lassen, so wie von unserer ersten Begegnung. Ich sah Dir in die Augen, sah Deine Augen, und wusste so vieles, was ich eigentlich nicht wissen konnte. Das Bild, wo Du mir zum ersten Mal die Hand reichst um miteinander zu gehen. Aber ist das denn wirklich ein richtiges Bild? Das Bild, wo Du mich zum ersten Mal küsst, und Deine Hand durch mein Haar streicht, wo ich mich an Dich schmiege, meine Augen schließe, um Dich zu riechen, das Bild, wo Du zum ersten Mal aus Dir herausgehst, Grenzen überschreitest, die Du bis zu diesem Zeitpunkt nicht überschreiten konntest, und Dich mir hin öffnetest. Bilder, die leben, und nicht in Starre gelegt werden können. Im Grunde habe ich dieses Bild von Dir nur in der Tasche für Momente, in denen Du schweigst und ich Dich nicht finde, diese dunklen Momente, in denen selbst die Bilder in meinem Kopf verschwunden schienen, wo ich einen Rettungsanker suchte. Du bist in mir lebendig.

Ich bleibe an einem dieser, scheins unzähligen Brunnen stehen und blicke hinein. Wie tief er wohl sein mag? Das Wasser spiegelt mich, und ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn plötzlich auf dieser glitzernden Wasseroberfläche ein zweites Bild auftauchte, Deines. Es ist eine gute Vorstellung, und ich sehe mein Spiegelbild lächeln.

Wie tief das Wasser wohl sein mag? Ich nehme einen Stein und werfe ihn hinunter. Er braucht lange bis er unten ankommt, doch das, was ich wirklich, aber auch nur vage, zu erkennen vermag, ist der Weg des Steins von hier oben bis zur Wasseroberfläche. Was darunter liegt bleibt im Verborgenen. So wie mir bei Dir noch so vieles im Verborgenen liegt. Ich will es ausfindig machen, und es entdecken, so weit Du es zulässt. Ich will Dich kennen, immer und immer wieder ein Stückchen mehr, sacht und achtsam.

Venedig, die Stadt, die auf Hoffnung gebaut ist. Rundherum ist so viel festes Land, und gerade hier haben die Menschen gemeint, sie müssten ein Stück des Meeres vereinnahmen und zu einem passenden Lebensraum umfunktionalisieren, zu einem von ihnen bewohnbarem Lebensraum. Deshalb rammten sie Pfähle in den Leib des Meeres und erbauten darauf ihre Stadt, immer mit der Hoffnung, dass dieses, ihr Bauwerk standhalten würde, der Lebendigkeit des Meeres trotzen könne. Bis dato wurde ihre Hoffnung nicht enttäuscht. Hoffnung, die uns erlaubt weiterzuleben, denn niemand von uns weiß was der nächste Tag, ja noch nicht einmal was der nächste Moment bringen wird. Hoffnung ist es, die es uns überhaupt ermöglicht weiterzuleben, ermöglicht der Zukunft, dem Kommenden zuversichtlich entgegenzusehen.

Damals, als wir uns kennenlernten, da war ich an einem Punkt, wo ich für mich routiniert mein Leben lebte, doch ohne Hoffnung, dass es da noch mehr geben könnte, mehr als das tagtägliche, immer gleiche Einerlei. Du hast mir die Hoffnung zurückgeschenkt, und lange, allzu lange wohl, konkreter, bis zu diesem Tag, dachte ich wohl, ich hätte meine Hoffnung auf Dich gebaut. Doch ich habe keine Pfähle in Deinen Leib gerammt, um darauf meine Stadt zu erbauen.

Du hast mich gelehrt, wohl wieder, dass das Leben in all seiner Unvorhersehbarkeit, Hoffnung verdient, doch diese Hoffnung haben wir auf festen Grund gebaut, auf den festen Grund unseres Miteinander, den Grund unseres immer fortschreitenden Erkennens, und mit jedem neuen Tag, mit jedem neuen Eindruck, bauen wir ein weiteres Stück dazu. Siehst Du wie wunderbar sich unsere Stadt entwickelt? Ich weiß nicht wie lange wir noch an dieser, unserer Stadt bauen werden, aber ich hoffe, dass es noch lange sein wird, so lange wir in unserem Bau uns wirklich einzubringen vermögen und wollen.

Es war wohl schon spät, nehme ich an, als ich mich in mein Zimmer zurückzog, angenehm müde von den Erfahrungen dieses Tages, Erfahrungen und Erkenntnissen, die ich einer Stadt machen durfte, von der ich annahm sie zu kennen, so wie ich bisher annahm Dich zu kennen.

Hier war ich für Dein Kommen bereit, wie all die Tage davor, und wie ich es wohl noch lange sein werde. Allzu lange war es eine bange Frage, die, ob Du wohl noch kommen würdest, doch an diesem Punkt, wo ich jetzt stehe, ist es eine zuversichtliche, hoffnungsvolle Frage, voll eben jener Hoffnung, die Du mir geschenkt hattest, und immer wieder neu schenkst.

Von der, der Du die Hoffnung wiederentdeckst.

Hier geht es zum zehnten Brief.


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