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Life is too short for boring stories

Versonnen, beinahe liebevoll packte Alexander seiner Figürchen aus und stellte sie auf die Box, die er extra gebaut hatte um sie in der Fußgängerzone zu präsentieren. Jedes Stück ein Unikat. Da fanden sich traurige und lustige, ernste und verträumte Gesichter. Alexander zeigte sich darin als Meister darin menschliche Regungen lebendig und täuschend echt in den Gesichtern und in der Gestik seiner Figuren auszudrücken. Selbst jene, die meinten sonst nichts mit Kunst am Hut zu haben, zeigten sich von ihnen berührt. Er war es gewohnt auf seine Figürchen gut aufpassen zu müssen, sie beschützen zu müssen, denn er hatte vier kleinere Brüder.

Manchmal fragte er sich schon wie seine Mutter das schaffte, fünf Burschen mit all ihren Bedürfnissen und Wünschen, Sehnsüchten und Ansprüchen unter einen Hut zu bringen, aber sie meisterte es großartig, obwohl sie ganz alleine für diese Rasselbande verantwortlich war. „Lässt sich scheiden, und das mit fünf Kindern“, tuschelten die Menschen sofort, wenn sie erfuhren, dass Alexanders Mutter Alleinerzieherin war, und sie war es langsam müde immer dazu sagen zu müssen, dass sie nicht geschieden, sondern verwitwet war. Warum waren die Menschen immer so leicht bereit zu urteilen?

 

Es war Samstagabend und viele Menschen unterwegs. Das versprach einen guten Absatz. Außerdem hatte Alexander mittlerweile so etwas wie Stammkunden erworben, Menschen, die seine Arbeit schätzten und immer wieder kamen um zu sehen was er Neues hatte. Mit dem Geld, das er an solchen Abenden verdiente unterstützte er seine Mutter.  Wäre er gefragt worden ob er meinte, dass sie arm wären, so wäre seine Antwort eindeutig. Sicher, sie konnten sich manches nicht leisten, was für andere Familien selbstverständlich war, wie zwei Urlaube im Jahr und ähnliches, aber sie hatten genug zu essen, ein Dach über dem Kopf und mussten nicht frieren, und vor allem sie hatten einander. Das war etwas, was man nicht kaufen konnte.

 

Alexander hatte seine Figuren gerade fertig aufgebaut, als eine Gestalt davor stehenblieb. Es war Philipp, der Neue aus seiner Klasse, umgeben von einer Meute Untergebener. Philipp kaufte sie, allesamt, und sie taten was immer er wollte. Philipp hatte schlechte Laune. Ja, er bekam alles was er wollte, hatte alles was er brauchte, und noch viel mehr, nur außer dem Hauspersonal war nie jemand zu Hause. Wie lange hatte er seine Eltern nicht gesehen? Eine Woche, zwei? Er fühlte sich allein gelassen, verlassen. Bei ihm zu Hause war es kalt, und da stand er nun vor Alexander und seinem Figurenstand und spürte, dass Alexander etwas hatte, wonach er sich so sehr sehnte, und doch nie bekommen würde, so viel Geld er auch immer haben würde. Gemeinsame Zeit, gemeinsame Erinnerungen, gemeinsames Leben. Er spürte, dass er, der Reiche diesem Armen in den lächerlich abgewetzten Klamotten etwas neidete, etwas, was er unbedingt haben wollte, und hatte doch keine Möglichkeit es ihm wegzunehmen. Er spürte, dass er seinem Wollen und Sehnen ohnmächtig und hilflos gegenüberstand und das machte ihn wütend, so wütend.

 

Ein gezielter Tritt und Alexanders Verkaufsstand zerfiel in seine Einzelteile, gipserne Figürchen zersplitterten am Boden. Zufrieden überblickte Philipp das Chaos, das er angerichtet hatte, griff in seine Hosentasche und entnahm dieser einige Scheine, die er Alexander hinwarf. Dann drehte er sich um und verließ die Stätte der Verwüstung, gefolgt von seinen gekauften Freunden. Alexander packte die Einzelteile zusammen. Traurig und verwirrt ging er nach Hause. Er konnte es einfach nicht verstehen was Philipp dazu trieb so wütend zu sein. Sollte er nicht eigentlich glücklich sein, reich, beliebt und verwöhnt?

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