
„Hilfe! Hilfe!“, schrie er, so laut er konnte, „Wenn mich jemand hört, ich sitze im Maul des Wals und kann nicht heraus.“ Eigentlich eine blöde Redewendung, dachte Jona bei sich, dieses „Wenn mich jemand hört“, denn es geht eh nur, wenn ihn jemand hörte und wenn sein Schreien kein Gehör fand, dann war es erst redundant. Er presste das Ohr an die Innenseite des Walmauls. Offenbar war es sehr robust gebaut, denn niemand schien seine Schreie wahrzunehmen oder sie wurden schlicht ignoriert.
„Mama, Mama, der Wal macht so komische Geräusche“, schrie plötzlich ein Kind auf. Jona nahm an, es war geschrien, denn er hörte es nur sehr leise, aber die Panik in der Stimme stach hervor.
„Ach so ein Unsinn, wie soll der Geräusche machen, der ist nicht echt“, versuchte die Mutter das Kind zu beschwichtigen, doch es blieb eisern dabei.
„Doch macht er“, blieb das Kind beharrlich, bis sich die Mutter bereit erklärte, einen der Aufseher zu holen.
„Nanu, warum ist das überhaupt zu. Das muss doch offenstehen“, meinte der Aufseher. Erneut ließ Jona seinen Hilfeschrei los, woraufhin der um Ordnung bemühte Mitarbeiter ganz nahe an den Wal herantrat, das Ohr daranlegte und mit geschlossenen Augen lauschte. Da, erneut ein Laut. Daraufhin richtete er sich auf, erhob seine Stimme im vollen Falsett und ließ den im Wal Gefangenen wissen: „Öffnen Sie das Maul und kommen Sie sofort heraus!“
„Der war gut. Meinen Sie, ich würde noch da drinnen sitzen, wenn ich hinauskönnte“, erwiderte Jona erzürnt.
„Wie kommen sie überhaupt dazu, da drinnen zu sein?“, fragte der Aufseher weiter.
„Weil ich mich vor dem Regen hineingeflüchtet habe, es sich schloss und es sich jetzt nicht mehr öffnet“, meinte Jona gereizt, „Also lassen Sie mich jetzt endlich hinaus?“
„Sie, werden Sie nicht frech, als erst den Mechanismus manipulieren, dass das Maul sich schließt und dann andere erpressen, es zu öffnen. Wer es schließen kann, kann es auch wieder öffnen“, zeigte sich der Disney World Mitarbeiter uneinsichtig, so dass Jona sich aufs Betteln verlegte.
„Bitte, ich will hier raus. Es ist muffig und stickig und ich verdurste bald. Ich werde auch nie wieder das Maul eines Wals betreten, ich schwöre es“, erklärte Jona zerknirscht.
„Also schön, aber ich muss erst jemanden suchen, der sich auskennt“, meinte der Aufseher und ging davon.
„Heute ist es zu spät, aber morgen kann der Spezialist kommen. Und das wird Ihnen alles in Rechnung gestellt. Erst zumachen und dann jammern, dass man nicht mehr raus kann, das darf nicht ungesühnt bleiben“, erklärte Jona der Mitarbeiter, als er zurückgekehrt war, nach einer gefühlten halben Ewigkeit.
Am späten Nachmittag des nächsten Tages wurde das Maul des Wals tatsächlich geöffnet. Als Jona vorsichtig hinaustrat, stand vor ihm ein Mann mit schlohweißem Bart und Haar, auf dem eine graue Kappe saß. Dazu trug er einen grauen Monteursoverall. Ohne, dass Jona was sagen musste, hielt dieser alte Mann Jona eine Flasche mit Wasser unter die Nase, die er begierig austrank.
„Gott, bist Du das?“, fragte Jona, nachdem er seinen Durst gestillt hatte, ganz vorsichtig, denn er kam sich ein wenig blöd vor.
„Natürlich, oder hast Du wirklich geglaubt, Du kannst Deiner Aufgabe entkommen, wenn Du sie einmal angenommen hast? Meinst Du, mir fällt nichts Besseres ein, als die allzu bekannte Geschichte von damals?“, meinte er amüsiert.
„Wenn Du es wirklich wissen willst, ja“, erwiderte Jona ehrlich.
„Und wirst Du Deine Aufgabe jetzt erfüllen?“, fragte Gott weiter.
„Ja, ok“, sagte Jona kurz, woraufhin er sich sofort vor dem Konferenzhotel wiederfand. Er holte nochmals tief Luft und trat ein. Zu seiner nicht geringen Verwunderung, wurde er nicht aufgehalten, sondern konnte unbehelligt den großen Empfangsbereich durchqueren, zielstrebig den Raum ansteuernd, in dem die wichtigsten Menschen der Welt versammelt waren. Er war sich ganz sicher, dass er sich auf dem richtigen Weg befand, obwohl er noch nie in diesem Hotel gewesen war, doch er hatte aufgehört, sich über irgendetwas zu wundern. Endlich erreichte er eine große, doppelflügelige Türe, die er mit einem groben Stoß aufdrückte, durch sie hindurchschritt, um dann breitbeinig und mit vor der Brust verschränkten Armen stehenzubleiben. Alle wandten sich um und richteten ihren Blick auf ihn. Eine gespannte Erwartung erfüllte die Luft und dann begann er zu sprechen:
„Ich bin Jona und ich bin hierhergekommen, mit einem Umweg über ein Walmaul, aber nicht so wie Sie denken, jedenfalls bin ich hier, um Ihnen eine wichtige Botschaft zu überbringen.“