Kunst, das ist etwas, was in die Abgeschlossenheit gehört, das Konzert in den Konzertsaal, die Ausstellung in eine Galerie, die Literatur in einen Vortragssaal. Da gibt es eine genaue Zugehörigkeit, abgesteckt und begrenzt. Menschen teilen sich damit selbst in zwei Gruppen ein, die der Besucher*innen und die der Fernbleibenden. Damit wird eine Barriere aufgebaut, die vielen Menschen die Kunst unzugänglich macht, die Türe, die den einen Raum vom anderen trennt, kann nicht geöffnet werden. Es ist ein Ausschluss derer, die Kunst nicht wagen. Sich nicht zutrauen, dass sie verstehen, manchmal auch verstehen wollen. Doch Kunst ist, ihrem Selbstverständnis nach, basisdemokratisch. Niemand sollte davon abgehalten werden, Kunst zu erleben. Doch wie kann diese Barriere abgebaut, die Türe geöffnet werden?
Eine wunderbare Möglichkeit ist Kunst im öffentlichen Raum. Öffentlicher Raum, der als Ort der Zusammenkunft von Menschen außerhalb der eigenen vier Wände, wenn sie diesen Schutzraum der Intimität verlassen und sich dort wiederfinden, wo der Raum für alle Menschen zugänglich ist. Seien es Parks, Fußgängerzonen oder bloß Gehsteige. Letzte Refugien des ungezwungen, selbstentschiedenen Zusammenkommens, die darüber hinaus noch immer weniger werden.
Zu viel Raum wird verschwendet für das, was man als Werbung bezeichnet. Egal wohin man schaut, überall die überbordenden immer gleichen Botschaften, die Menschen weg von der Straße hinein in die Geschäfte zwingen sollen. Aber es bedeutet noch mehr, denn damit wird der öffentliche Raum, in dem man sich nicht beweisen muss durch Besitz, sondern einfach zusammenkommen kann, um einander zu begegnen, zum proletarischen Raum, also jener, der von denen bevölkert wird, die dem Konsumationszwang zur sozialen Etablierung nicht folgen können.
Einen Kontrapunkt bildet Kunst im öffentlichen Raum, denn es bedeutet eine Eroberung durch die, die sich der Menschen und des Miteinander annehmen. Kunst als individueller Ausdruck, mit dem man sich auseinandersetzen kann, aber nicht muss. Ein Zusammentreffen vor einem Gemälde an einem Käfig, in dem Kinder Ball spielen oder Jugendliche. Aus dem zufälligen Zusammentreffen wird eine Begegnung, indem man sich über das Kunstwerk austauscht. Aber es bedeutet auch direkte Ansprache. Ein Mensch, der es für sich interpretiert und damit mit der Künstlerin in Kontakt tritt, sich wiederfindet oder zum Widerspruch herausfordert, zur Antwort. Und so schreibe ich mit Kreide auf den Boden davor. „Du hast mich angerührt“, und meine das Bild oder den Text oder einen Menschen, an den ich gerade denke. Und die nächste, die vorbeikommt, nimmt das Bild wahr oder den Text und dazu meine Interpretation. So schlägt Kunst Wellen, wie der Stein, der in den See geworfen wird.
Kunst im öffentlichen Raum braucht keine Türen zu öffnen, weil es keine gibt. Sie ist einfach da, Angebot und Aufforderung zugleich. Damit wird die Barriere abgebaut, die Hemmschwelle zu den hehren Hallen der Kunst. Kunst kann überall sein, wo sie Rezeption findet. Deshalb ist sie zutiefst egalisierend. Jede kann dabei sein und sich einbringen.
Mit einer Ausstellung, die am 09. Juni 2023 im Alois-Drasche-Park im vierten Wiener Gemeindebezirk eröffnet wurde, kam dieser Ansatz zur Egalisierung von Kunst wunderbar zum Ausdruck. Ein Ballspielkäfig oder besser ein abgezäuntes Refugium, in dem Kinder und Jugendliche spielten und wo der Zaun nicht mehr nur Abtrennung war, sondern Möglichkeit, Kunst zu präsentieren, Bilder und Texte, in aller Eigenheit. Das Thema war „Erinnern“ und es ist ungemein spannend zu erleben, wie viele Assoziationen damit verbunden werden, wie unterschiedlich die Künstler*innen das Thema aufgreifen und in ihren Werken umsetzen, so dass sie sich gegenseitig ergänzten und wohl jede etwas fand, was sie ansprach und berührte.
Kunst im öffentlichen Raum ist der Ausdruck einer Gesellschaft, die sich selbst gestaltet und es bleibt zu wünschen, dass sich dies ausbreitet.
Die Ausstellung „Erinnern. Ein Gedenken im öffentlichen Raum“ ist noch bis 02. Juli 2023 im Alois-Drasche-Park, 1040 Wien zu sehen und zu erleben, ganz ohne Öffnungszeiten.