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Life is too short for boring stories

„Von der Öffentlichkeit durch die gewählten Vertreter“, konterte der Polizist, „Deshalb haben wir ja die Politiker, die wissen was sich gehört und was nicht und was die Menschen wollen.“
„Der öffentliche Raum ist viel zu lange schmählich vernachlässigt worden“, sagte Yvonne würdevoll, „Es muss überhaupt viel mehr gelacht, getanzt und verschönert werden. Die Menschen treffen einander und machen ihr Leben bunter. Dazu ist der öffentliche Raum gut. Kunst muss frei und sichtbar sein. Wir müssen den öffentlichen Raum wieder zurückerobern und ihn nicht irgendwelchen Politiker*innen überlassen, die oft keine Ahnung vom Leben haben.“
„Das ist also auch noch Aufwiegelung zu einer Straftat“, stellte der Exekutivbeamte fest, „Sie werden jetzt sofort dieses Machwerk beseitigen oder ich nehme Sie mit.“


„Aufwiegelung zu einer Straftat? Mitnehmen?“, wiederholte Yvonne nun ernst, während sie sich auf die Füße stellte, „Ich werde das so lassen wie es ist, denn dieses Kunstwerk wird der nächste Regen wegwaschen und dann kann wieder was Neues entstehen.“
„Ausweis“, fuhr der Polizist grimmig fort.
„Nein“, erwiderte Yvonne fest.
„Sie müssen sich ausweisen“, versuchte der Beamte seine Autorität ins Feld zu führen.
„Nein, muss ich nicht“, erklärte Yvonne, die genau wusste, dass der Polizist sie belog.
„Wenn ich Sie bei einer Straftat erwische, dann ja“, meinte dieser nun.
„Ich habe keine Straftat begangen“, meinte Yvonne.
„Verschmutzung des öffentlichen Raums, das ist ein Straftatbestand“, unternahm der Uniformierte einen neuerlichen Versuch.
„So ein Unsinn“, brach es aus Yvonne heraus, „Das soll Verschmutzung sein? Eine wunderschöne bunte Zeichnung, die noch dazu bald wieder weggewaschen sein wird, aber die Betonklötze, die wir uns jeden Tag anschauen müssen und davon trübsinnig werden, die nicht mehr verschwinden, die sind keine Verschmutzung?“
„Das werden wir auf der Wache klären“, meinte der Polizist, „Sie kommen jetzt mit mir mit.“
„Ich komme sicher nirgendwohin mit“, sagte Yvonne mit allem Nachdruck.
„Sie müssen aber, das ist Ihre Pflicht“, erklärte ihr Gegenüber.
„Nein, das stimmt nicht“, erwiderte Yvonne kurz.
„Sie wollen also sagen, dass ich lüge?“, fragte der Polizist.
„Nein, ich sage nur, dass es nicht stimmt“, meinte Yvonne, beinahe schon amüsiert. Dabei war es alles andere als lustig, wenn sie daran dachte, wie viele brave Bürger*innen sich einreden ließen, dass sie sich ausweisen müssten, bloß weil ein Exekutivorgan gerade lustig war. Oder jemanden mitnahm, der ihm nicht zu Gesicht stand. Es war eigentlich eine gut durchdachte Masche, denn im Nachhinein hieß es dann natürlich, dass die Menschen das doch freiwillig gemacht hätten und einfach kooperativ waren. Und die Polizei sagt natürlich immer die Wahrheit. So wird es uns beigebracht.
„Dann nehme ich Sie jetzt mit“, erklärte der Polizist, dem mittlerweile die Zornesröte ins Gesicht gestiegen war. Wohl, weil er in Yvonne jemanden gefunden hatte, die sich weder von seiner Uniform noch von seiner Autorität einschüchtern ließ.
„Wie Sie wollen“, meinte Yvonne, woraufhin der Uniformierte sie am Arm nahm und Anstalten machte sie mitzunehmen. Im selben Moment legten sich zwei starke Arme um das zierliche Mädchen, sie zu schützen. Der Polizist musste die Augen weit heben, um dem Menschen, der sich nun für Yvonne einsetzte, ins Gesicht sehen zu können.
„Dann müssen Sie aber auch mich mitnehmen“, sagte Mark fest. Man konnte richtig sehen, wie der Polizist schluckte. Es war wohl doch etwas anderes, ein kleines zierliches Mädchen einzuschüchtern oder es zumindest zu versuchen, als einen vierschrötigen Mann.
„Gut“, sagte der Vertreter von Recht und Gesetz schließlich, „Ich lasse es diesmal auf sich beruhen, aber machen Sie so etwas nie wieder! Hören Sie auf die Straße zu verschmutzen. Sonst muss ich Sie wirklich festnehmen.“
„Dann müssen Sie aber auch mich festnehmen“, meinte Mark, schnappte sich eine von Yvonnes Kreiden und begann zu malen.
„Und mich auch“, sagte eine Dame, die offenbar das ganze Gespräch belauscht hatte, um sich dann zu Mark zu gesellen und ebenfalls zu malen. Nach und nach kamen immer mehr Menschen hinzu, alte und junge, gut und weniger gut situierte, um den öffentlichen Raum zurückzuerobern. Yvonne spürte wie ihr Freudentränen in die Augen stiegen über so viel Solidarität. Tapfer lächelte sie den Polizisten an, der ein wenig bestürzt das Geschehen beobachtete und dann entschlossen das Weite suchte.
„Vielleicht war er auch nur so böse, weil er nicht mit malen durfte“, dachte Yvonne. Dann setzte sie sich neben Mark, um mit allen anderen, die Welt ein klein wenig bunter zu machen, auch wenn es nur temporär war.

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2 Gedanken zu “Du bist mehr (7)

  1. oma99 sagt:

    Wunderbar!
    Ja, ein kleines bisschen Mut zur Zivilcourage kann so viel bewirken und das Leben bunter, freier, leichter machen. Wichtig ist immer, gut informiert zu wissen, was legal ist, was grenzwertig sein kann und was begründet falsch ist. aber gerade auch bei öffensichtlich falsch illegalen Dingen sollte unbedingt Zivicourage darauf aufmerksam machen. Lasst Euch nicht einschüchtern, steht ein für die Verbesserungen unserer Welt!
    Danke wiederum für diese Zeilen!

    1. novels4utoo sagt:

      Genau dazu wollte ich motivieren. Du hast mich wieder mal restlos durchschaut. Danke für Deinen Kommentar!

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