Letztlich ist es doch das Miteinander, das uns Halt gibt, das unserem Leben Strukturen verleiht und es prägt, das Miteinander, in dem wir uns beschützt und gehalten fühlen, sollten. So viele Menschen um mich. Manche ferner, manche näher, doch immer und immer wieder das Wort, das mich hält. „Denk doch daran, dass Du das nicht tun kannst, weil Du den vor den Kopf stößt“, wurde mir gesagt, und ich ließ es mir einreden. Es war nicht die Frage, ob das für mich wichtig wäre, ob es für mich gut wäre, nein, für jemand anderen war es nicht richtig und nicht gut. Natürlich, man muss Interessen abwägen, doch wenn das Miteinander zum Gegeneinander wird und das Raten zum Schlag, wenn ich mich eingebunden weiß von Zusprüchen und Einsprüchen, wenn ich mich eingegraben fühle vor lauter Dingen, die ich doch tun oder lassen sollte, die ich bedenken oder bei Seite lassen sollte, wenn die Menschen meinen, und nicht einmal unbedingt die nahe stehenden, sie wüssten wie ich mein Leben zu leben habe, damit es passt, damit alles seine Ordnung hat und richtig ist, wenn sie meinen ständig auf mich einreden zu müssen. Aber sie haben immer so gute Argumente.
Nein, sie meinen es doch alle so schrecklich, unheimlich, furchtbar gut mit mir, meinten es mir aus der Hand nehmen zu müssen, weil es da nicht gut aufgehoben war. Und ich ließ es zu, ließ es mir sagen, und legte das zweite eiserne Band um mein Herz. Die Unsicherheit einsperrend, die Verunsicherung durch all das Gutmeinen und das Schlechttun. Ich hatte so eine Ahnung, bloß so eine Ahnung, dass es doch irgendwo mein Leben wäre, über das sie nicht nur bestimmten, sondern meinten es mir gleich ganz aus der Hand nehmen zu müssen. „Nein, Du schaffst das nicht. Wir wissen das viel besser“, meinten sie, oder „Aber lass Dir von der nichts einreden, die weiß nicht wovon sie redet.“
Einflüsterungen, zielgerichtete Beeinflussungen, es immer so zu machen, dass es irgendjemanden passte. Selbsternannte Experten in Sachen Leben, Profis im Umgang damit, und ich ließ es mir sagen. Leiser und immer leiser wurde die Stimme in mir, die vielleicht noch aufmucken wollte. Zu übermächtig schienen die Stimmen um mich, und wenn ich mich störrisch zeigte, so meinten sie noch lauter werden zu müssen, bis die Stimme in mir endgültig ungehört war. Und was als Miteinander gedacht war, wurde zum Gegeneinander. Ich wollte es glauben und ich wollte mich anvertrauen und ich wollte nicht wahrhaben, dass etwas nicht wahrer wurde, nur, weil man es brüllte, nur weil man es immer und immer wieder wiederholt.
„Es gibt sie, die große Liebe, und man muss sie finden“, sagte mir eine Frau, die mehrere Ehemänner verschließen hatte, zahllose Liebhaber und jedem hinterherhechelte, der ihr einmal zuzwinkerte und auch nichts anderes im Kopf hatte. Und ich schaute nicht genauer hin, vertraute ihren Worten, Worten, die einer Fünfzehnjährigen wohlangestanden wären, aber nicht einer Frau über 50. Sollten sich die Interessen da nicht schon ein wenig verlagern sollen, hätte ich denken müssen, doch es war alles wund in mir und unterdrückt, so dass ich mich dem Schmerz widmete und nicht der Wahrheit.
„Alles habe ich für die Anderen getan, alles gegeben und nie etwas genommen und bin so auf die Schnauze gefallen, aber genau so musst Du es machen“, hatte sie weiters gesagt, und trotz der Dummheit ihrer Worte hörte ich darauf. Fragte nicht nach, vertraute und ließ mich verführen, zum Glauben und zum zweiten eisernen Band um mein Herz. Und dann wird alles gut werden, dann wird mein Leben die rechten Bahnen gehen, hoffte ich, doch alles was war und alles was ich fühlen konnte, war der Schmerz, bis auch der aufhörte und alles gefühllos und kalt wirkte, abgestorben unter der Fesselung. Es hatte nichts zu sagen, denn alle anderen wussten es sowieso besser, die mit der Lebenserfahrung und den ungeheuren Erfolgen. Sagen lassen und nicht näher hinsehen, das war das Motto, dem ich folgte, und zurrte das eiserne Band noch ein wenig fester, sicherheitshalber.
Das Leben literarisch ergründen

Ungezähmt. Anleitung zum Widerstand


Der Weg ist das Ziel ist der Weg
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