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Life is too short for boring stories

Der Blick des Regisseurs war nicht zu deuten. Gespannte Erwartung lag in der Luft, bis er endlich meinte: „Julia, stell Dich mal dorthin. Ganz bist Du noch nicht aus dem Rennen, wer weiß, was für Unsinn noch kommt. Obwohl es schwer sein wird, Deinen zu überbieten, aber es ist durchaus möglich. Also, Kiara, dann leg mal los und sag uns, was Du Dir überlegt hast.“ Die Angesprochene, eine zarte Person mit langem roten Haar, heller Haut und Sommersprossen der Inbegriff einer Irin, trat vor und folgte der Aufforderung des Regisseurs.

„Mit dem Wind kam ein Mädchen, nein, eigentlich eine junge Frau. Plötzlich stand sie da. In der einen Hand hielt sie einen Koffer, einen der billigsten Sorte und in der anderen hielt sie die Deichsel eines Leiterwagerls. Nun ließ sie die Deichsel los und stellte den Koffer ab. Drei Hennen sprangen aus dem Wagerl und begannen sofort voll Freude und Eifer im Boden zu scharren und zu picken. ‚Großmutter‘ sagte das Mädchen, während sie den Blick über die alten Leute wandern ließ, zunächst fragend, dann erkennend, ‚Großmutter‘, rief sie. Die Frauen, die eigentlich alle Großmütter waren und entsprechend darauf hörten, hoben ihren trüben Blick, doch nur in einem Gesicht spiegelte sich Erkenntnis. Langsam stand sie auf und ging auf die junge Frau zu, bis sie sie erreicht hatte. Sie blieb vor dieser stehen, um sie genau betrachten zu können. Endlich hob die alte Frau die Hand, um die Wange der anderen zu berühren, als hätte sie Angst, dass es nur ein Trugbild ihrer Phantasie war, doch sie war echt. Sie konnte es spüren. ‚Viola, mein Veilchen, Du bist es wirklich, nach all den Jahren‘, sagte die alte Frau, bevor sie die junge in die Arme nahm. Diese ließ es zu. Endlich ließ die Großmutter die Enkelin wieder los und sah sie fragend an. Da waren so viele Fragen, dass sie nicht wusste, wo zu beginnen. ‚Ich werde Dir alles erzählen, Großmutter‘, meinte Viola, ‚Aber zunächst nur so viel. Ich habe Dich so lange nicht besucht, weil es mir verboten wurde. Als wir wegzogen, war ich noch zu klein und es wollte mir niemand verraten, wo Du wohnst. Jetzt endlich habe ich es herausgefunden und ich habe mich erinnert, an den Bauernhof, auf dem Du lebst und auf dem ich so glücklich war, damals. Ich bin weggegangen, um bei Dir zu bleiben.‘ ‚Hier, wo es nur mehr Alter und Tod gibt?‘, entgegnete die Großmutter. Viola meinte, dass sie davon gehört habe, dass alle Menschen, die irgend konnten, von hier weggezogen waren. Es gab nichts mehr, aber viel Platz und Möglichkeit, ein individuelles Leben zu führen. Der Bauernhof war, wie sich herausstellte, recht heruntergekommen, denn es war seit Jahren nichts gemacht worden, doch es kamen Freund*innen von Viola und bauten ihn wieder auf. Tiere kamen an, die die Stallungen und die ehemaligen Weiden bezogen und Freude in das Dorf brachten. Mehr junge Menschen kamen, besiedelten die leer stehenden Häuser und es wurde beschlossen, dass alle Häuser, egal ob verlassen oder nicht, bei denen, die nicht verlassen waren, mit der Zustimmung der darin Wohnenden, in das Gemeineigentum übergingen. Dafür wurde eine Stiftung gegründet. Leistbares Wohnen und viel Freiraum. Junge Familien kamen, die die Alten unterstützten und die Alten unterstützten die jungen Familien. Bunt und einladend wurde das Dorf. Ein Greißler eröffnete und ein Bäcker, und all die anderen kleinen Geschäfte, die man so braucht. Als alle Häuser bewohnt waren, durfte niemand mehr hinziehen. Eine eigene, kleine Gemeinschaft entstand, in der jede und jeder aufeinander achtete, sich half, so gut es ging und all die Freuden und auch Leiden geteilt wurden. Ein Spekulant wurde darauf aufmerksam und versuchte den Menschen, die Häuser abzukaufen, doch nachdem alles allen gehörte, biss er auf Granit. Deshalb bestach er den Landeshauptmann, damit dieser dafür sorgen sollte, dass dieses Konstrukt als rechtswidrig verurteilt wurde, denn in einem demokratischen Rechts-Staat wie Österreich, in dem Eigentumsrechte über alles gingen, durfte nicht allen alles gehören. Da trat ein ein Bewohner des Dorfes der Alten auf den Plan. Er war Rechtsanwalt gewesen und schaffte es, die Spekulanten wegzuschicken. Der Landeshauptmann war so wütend, dass er die einzige Zufahrtsstraße sperren ließ, doch auch das konnte er nicht lange aufrecht halten und es störte die Bewohner*innen nicht sonderlich, denn sie hatten, alles, was sie brauchten vor Ort. Zuletzt gaben sie dem Ort endlich einen Namen „Dorf der Alten & Jungen“ nannten sie es. Nirgendwo sonst hatte man je einen friedlicheren Umgang miteinander erlebt.“ Damit endete Kiara und sah den Regisseur erwartungsvoll an.

„Eine großartige Geschichte“, meinte dieser, „Julia, wir nehmen Deine.“ „Aber warum?“, zeigte sich Kiara überrascht. „Es ist eine großartige Geschichte“, wiederholte der Regisseur, „Voller Hoffnung und Lebensfreude und Vertrauen. Aber stell Dir vor, die Menschen würden das in die Tat umsetzen. Das ist ein Aufruf zur Revolution, einer machbaren Revolution. Deshalb stellen wir die Menschen lieber dumm. Superretterinnen können keine Revolutionen machen, aber die Menschen von der Realität ablenken. Deshalb werden Filme gemacht, damit alles so bleibt wie es ist und die Menschen unterhalten werden.“ Und Kiara beschloss, genau das zu machen, einen Ort suchen, in dem ihr Traum umsetzbar war. Eine Revolution.

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