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Life is too short for boring stories

„Genau das ist es“, zeigte sich der Regisseur erfreut, „So habe ich es mir vorgestellt, so heruntergekommen, leblos, verkommen, bloß noch bevölkert von ein paar alten Tagerern, die nur mehr aufs Sterben warten. Was für ein Ambiente. Der Hintergrund für den Film. So, und jetzt zu unserer Aufgabenstellung“, damit wandte er sich den hoffnungsfrohen jungen Kreativen zu, „Ihr seid die Auserwählten, die die Filmakademie mit Auszeichnung absolviert haben. Ich sage Euch gleich, damit ist noch nichts geschafft, denn ob ihr es wirklich drauf habt, das zeigt sich hier, am Set. Jeder von Euch hat eine Chance, vergesst das nicht. Entsprecht Ihr nicht den Erwartungen, könnt ihr Euch gleich zu den Halbmumifizierten dazusetzen. Alles klar?“ Ein zustimmendes Raunen ging durch die Reihen. Oder besser gesagt, die Reihe, denn die Auserwählten waren zu dritt. Zufrieden nahm der Regisseur, die alle drei nicht leiden konnte, was jetzt nichts mit ihnen persönlich zu tun hatte, sondern dem Umstand geschuldet war, dass er selbst nicht einmal die Aufnahmeprüfung für die Filmakademie geschafft hatte, geschweige denn eine Auszeichnung.

Zum ersten, Roman fang an. Der Angesprochene trat nach vorne und ließ seine Idee aufleben. „Ein kleines Dorf, dessen Name in Vergessenheit geraten war, weitab jeglicher Zivilisation. Die Straßen und Plätze sind verlassen. Nach und nach waren alle jungen, dann die halbjungen und zuletzt die noch Arbeitsfähigen, weggezogen. Zurück blieben die Alten, die nicht mehr umziehen konnten oder wollten. ‚Kommt doch mit uns in die Stadt‘, hatten die Kinder gesagt, und erleichtert aufgeatmet, als die Alten strikt abgelehnt hatten. Der Wind fuhr durch die Hauptstraße, zu auf einen runden Platz, dessen Mitte eine hohe Säule bildete, gerade und aufrecht, umgeben von einem gepflasterten Ring, der gesäumt war von Bänken. Jede Bank war besetzt von einem Alten, einer Alten. So wie sie es gelernt hatten während Corona. Einer und eine pro Bank. Der Wind trug die Schwere der Verlassenheit und den Staub der Jahre und des Niederganges mit sich, umrundete den Platz, die Alten mit einer weiteren Staubschicht bedeckend, um auf der anderen Seite wieder in die Hauptstraße einzubiegen. Trostlosigkeit. Kein Geräusch durchdrang die Stille, nachdem der Wind gegangen war. Es gab kein Geschäft, kein Wirtshaus, ja nicht einmal mehr einen Pfarrer. Hier konnte man nur mehr aufs Sterben warten. Da schleppte sich plötzlich ein Zombie auf die Hauptstraße, angetan mit einer zerfetzten, rot-schwarzen Lederjacke, positionierte sich auf der Mitte der Straße. Diesem folgten viele andere Zombies, die sich in Formation stellten und es erklang Thriller von Michael Jackson. Der Zug der Zombies setzte sich in Bewegung, die Alten zuckelten hinterher, bis sie den Friedhof erreichten, auf dem bereits die Gräber vorbereitet waren. Die Zombies führten sie hin, die Alten legten sich hinein. Jede und jeder in ihr bzw. sein eigens, wegen Corona, um eine Ansteckung zu vermeiden.“ So weit die Geschichte von Roman.

„Und wer schaufelt die Gräber zu? Die Zombies?“, giftete der Regisseur, „Abgesehen davon ist das alles, bloß nicht kreativ. Wer kann dieses Michael Jackson Zeug noch sehen oder hören. Kein bisschen Anstrengung. Setz Dich zu den Alten. Du bist draußen. Die nächste. Julia. Und bitte erspart uns das mit dem Wind und den alten Häusern und der fehlenden Infrastruktur, das wissen wir schon. Also nahm Julia Romans Platz ein und legte ihren Ansatz dar. „An der Stelle, an der die Straße in den Platz einmündet, erschien Rescuewoman, die Superretterin mit ihrem Superretterinnenkostüm, natürlich mit Cape und ihrem Superretterinnenkoffer, die Hand emporgestreckt. Die Alten saßen und blieben unbeeindruckt. Ein fulminanter Auftritt, den niemand bemerkte. ‚Ach ihr lieben Leutchen, seid ihr schon so abgestumpft, dass ihr nicht in Jubel ausbrecht, bei meinem Erscheinen. Aber das werde ich schnellstens ändern‘, versprach sie. Damit nahm sie ihren Superretterinnenarm herunter, denn selbst eine Superretterin braucht zwei Arme, um effizient retten zu können, öffnete den Koffer und entnahm diesem ihr Superretterinnenpulver, das sie zuerst über die alten Menschen und dann über die Häuser streute. Im Nu warfen die Alten ihre Kränkeleien und Schwachheiten von sich und bewegten sich wie 25jährige. Die Häuser erstrahlten im frischen Glanz und Geschäfte öffneten ihre Pforten. Der Supermarkt, der Bäcker, das Cafe und vor allem das Nagelstudio. Niemals könnte eine Superretterin auf das Nagelstudio vergessen. Menschen strömten in den Ort und bevölkerten, belebten ihn aufs Neue. Der Ort wurde zum Geheimtipp und blühte auf. Zufrieden betrachtete Superretterin ihr Werk, um dann wieder den Superretterinnenarm zu heben und sich zu entfernen. Ihre großartige Hilfe wurde woanders gebraucht. Hier war sie fertig.“ Und auch Julia war es, woraufhin sie den Regisseur erwartungsvoll ansah.

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