novels4u.com

Life is too short for boring stories

Ich konnte Dich nicht retten, genauso wie Du mich nicht retten konntest. Wir wussten es. Wir hatten es immer gewusst. Wie lange kann man mit einer Illusion leben? Wie lange kann man sich vom süßen Duft der Einbildung betören lassen? Wie lange konnten wir dieser Illusion leben? Wie lange konnten wir uns vom süßen Duft der Einbildung betören lassen? Lange genug, um beinahe darauf zu vergessen, dass es letztendlich, in der letzten Konsequenz doch nur Illusion bleibt, und der Duft verfliegt mit der Ernüchterung.

Lange war es uns gelungen die Illusion aufrecht zu erhalten, lange hatten wir uns vom süßen Duft der Einbildung betören lassen. Doch an diesem Tag waren wir nicht nur in dessen Neuheit, sondern auch in die Ernüchterung erwacht. Wir haben nicht darüber gesprochen, nicht ein einziges Wort, doch wir haben es gewusst, und es ließ uns das Herz schwer werden. Wir hielten einander an der Hand, doch bloß um uns zu vergewissern, dass wir noch zusammen waren, doch auch wenn wir es nicht benannten, so waren wir uns dessen bewusst, dass es ein Gang des Abschieds war. Auch wenn wir es gleich nicht wahrhaben wollten, konnten wir doch auch nicht länger daran vorbei sehen. Endgültig und unwiderruflich war die Illusion gestorben und der süße Duft der Einbildung vom herben Duft der Wirklichkeit aufgesogen worden.

 

So wie alles, war auch dieser Tag vorübergegangen, und die Nacht hereingebrochen. Aufrecht saß ich am Bett, den Rücken gegen die Wand gelehnt und sah hinaus aus dem Fenster, hinaus in eine sternenklare Nacht, die nicht mehr unsere war, sondern nur mehr Deine und meine, so wie dieser Tag des Abschiednehmens nicht mehr unserer war, sondern sich schon aufgesplittert hatte in Deinen und meinen. Ich dachte daran, dass wir es versucht hatten, mit aller Kraft, die wir aufzubringen vermochten, versucht, doch es war vergeblich. Wir hielten, wo es nichts mehr zu halten gab. Wir hofften, wo es nichts mehr zu hoffen gab. Wir fragten, wo es keine Antwort mehr gab. Und doch, bis hierher war es gelungen die Illusion aufrecht zu erhalten, bis hierher hatten wir uns vom süßen Duft der Einbildung betören lassen können.

 

Du warst schon längst eingeschlafen, den Kopf in meinen Schoß gebettet, während ich mit dem Rücken an die Wand gelehnt, den Blick in der Nacht und meine Hand in Deinem Haar verloren, noch lange wach blieb, bis auch mich die Müdigkeit übermannte und mich für wenige Stunden der ungewollten Tätigkeit des Abschiednehmens entband. Vielleicht wäre alles leichter gewesen, der Abschied und die Anerkennung der von nun an getrennten Wege, alles leichter zu tragen gewesen, der Schmerz und die Vereinzelung, wenn wir uns diese Illusion nicht so lange aufrechterhalten hätten, wenn wir uns nicht so lange vom süßen Duft der Einbildung betören hätten lassen. Doch wer vermag schon Stopp zu sagen, wenn das Leben zu jener Illusion von Glück und Freude verlockt. Wer hätte sich nicht verführen lassen, auszukosten bis zum letzten Tropfen, auch das Wir?

 

Als ich wiedererwachte, warst Du nicht mehr da, Dein Kopf lag nicht mehr in meinem Schoß, und meine Hand griff ins Leere. Seitdem ist ein halbwegs schmerzfreies, ein gutes Erleben.

Aus: Geschichten über die Liebe und andere Absonderlichkeiten

Kommentar verfassen

%d