Was es zu erwarten gilt ist nichts im Vergleich zu dem was immer im Dunklen des Unerwarteten verborgen bleibt. Du meinst Dein Weg liegt hell und klar vor Dir, gerade und eben, bis plötzlich eine Hand hervorschießt und die Festigkeit der Fläche auf der Du auftrittst aufweicht. Die Hand, die Dich am Knöchel packt und diesen fest umklammert, aufhält. Du strauchelst und musst acht geben nicht zu stürzen, denn Du warst im Vorübereilen, wie immer im Vorübereilen, als die Hand wie aus einem Morast hervorschoss, Deinen Knöchel packte und dabei war Dein anderes Bein bereits nach vorne geworfen. Unvermittelt fühlst Du Dich gehalten. Und der Griff ist fest.
Nägel bohren sich in Dein nacktes Fleisch. Hättest Du doch die lange Hose angezogen denkst Du hintergründig, denn dann hätte Dich diese Hand nicht so festhalten können. Sie wäre abgerutscht und Du hättest sie leicht abschütteln können, doch so verschmilzt Haut mit Haut, schweißnass und schmierig, sich ballend zu einem klebrigen Film, und die Nägel sitzen in Deinem Fleisch, aus dem sich Blut löst, als würde es einen Unterschied machen, als wäre es jemals anders, und doch niemals gleich, nur weil der Fuß sich rot färbt von dem Blut, das aus den Wunden fließt, die die Nägel in das Fleisch, das zarte, rosige, reißen. So ziehst Du an Deinem Bein, doch umso mehr Du ziehst, desto fester wird der Griff, desto nachhaltiger das Eindringen der Nägel. Nicht nur, dass Du nicht entkommen kannst, die Hand zieht Dein Bein hinein in den Morast, der vormals festes Erdreich war. Schon ist die Sohle Deines Schuhs darin verschwunden. Vorsicht! Du lässt kurz locker, entspannst den Zug. Vielleicht weil Du meinst, dass die Hand dann auch locker lässt, weil Du meinst, dass sie doch irgendwann erschöpft sein muss, denn was vermag denn schon so eine Hand alleine, wie lange kann sie einen ganzen Menschen festhalten, der mit all seiner Kraft versucht sich loszureißen, denn die Hand ist das einzige was Du siehst, und deshalb meinst Du auch, dass die Hand Dein einziger Feind ist, oder der ganze. Nur die Hand siehst Du, wie sie dem Morast so unvermittelt entstiegen ist, und nicht mehr, und was Du nicht siehst, das gibt es auch nicht. „Du siehst mich nicht“, sagt das kleine Kind, wenn es sich die Augen zuhält. „Du bist nicht da“, sagst Du zu dem, was nicht Hand ist und dennoch mit dieser Hand verbunden ist, weil Du es nicht siehst, nur nicht siehst. Dein Feind, meinst Du, ist nur diese Hand. Wahrlich, der Griff scheint sich zu lockern, weil Du vorgibst nicht mehr dagegen zu kämpfen. Du wiegst die Hand in Sicherheit, um dann explosionsartig an Deinem Bein zu reißen, doch die Hand reagiert genauso schnell und sie behält Dein Bein, das nun getrennt von Deinem restlichen Körper ist, widerstands- und kraftlos, und die Hand zieht sie hinab in den Morast. Du balancierst auf einem Bein, siehst aus den Augenwinkeln, fassungslos, wie Dein Bein verschwindet, und sich der Morast schließt und wieder zu fester Erde wird. Du könntest jetzt hierbleiben und jeden warnen, der vorbeikommt, innezuhalten, vorsichtig zu sein, doch stattdessen humpelst Du unverdrossen weiter, und vergisst, dass das, was es zu erwarten gilt nichts ist im Vergleich zu dem, was immer im Dunklen des Unerwarteten verborgen bleibt. Vielleicht ist es als nächstes Dein Arm, den Du verlierst, oder Dein Herz, aber das würde wohl keine Rolle spielen.
Lesestoff für Liebhaber*innen von Mystischem und Skurrilem


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whow, was für ein Text!
Ja, was wir – oder die meisten von uns Menschen – sehr gut können und immer wieder machen – dieses Ausblenden, was man gerade nicht sieht, dieses Nicht-Wahrhaben-Wollen allen Ausblendbaren, dieses Ingnorieren von Verantwortung für andere Lebewesen,..
Bin gespannt auf den Fortgang der Geschichte…
Danke für Deinen Kommentar. Genau darauf wollte ich hinaus – bin gespannt, wie Dir der Fortgang gefällt.