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Life is too short for boring stories

Martinique und Christian hatten ein Erlebnis, das ihnen gehörte, ganz alleine ihnen. Sie würden es für sich behalten. Alles andere wäre Verrat. Mehr noch, es würde so vieles kaputt machen. Wie ein zartes Pflänzchen, das man vor grobem Zugriff schützen musste und im Verborgenen reifte. Bis es stark genug war. Stark genug wofür?

 

Es dämmerte bereits, als sie die Türe zu ihrer Wohnung öffnete und hinter sich wieder schloss. Wie viele Türen man doch im Laufe von wenigen Stunden öffnet und wieder schließt. Wie viele Zugänge einem ermöglicht werden und sich entziehen. Genutzt oder ungenutzt. Da erst spürte sie die Müdigkeit. Achtlos warf sie ihre Tasche und den Mantel in eine Ecke, schlüpfte aus den Schuhen und zog sich das Kleid über den Kopf. Als sie sich daran machte die Halter bei den Strümpfen zu öffnen, bemerkte sie endlich, dass einer von einer Laufmasche verunziert wurde. Der rechte. Aber das nur der Vollständigkeit halber. Unvermittelt hielt sie in der Bewegung inne und betrachtete die Laufmasche, die sich vom oberen Rand des Strumpfes bis zum Knie zog. Noch, denn sobald sie das Bein ein wenig bewegte, lief sie weiter, immer ein paar Zentimeter weiter, bis sie die Naht erreichte, die sich um die Zehenspitzen legt.

„Es ist wie diese emotionale Vergiftung“, schoss es ihr unvermittelt durch den Kopf, als wollte sie noch im Nachhinein sagen, dass sie verstand, was sie gemeint hatte, „Es ist wie mit diesem Strumpf. Es genügt ein ganz kleines Loch. Durch dieses Loch dringt etwas ein und das setzt sich fort, bis alles damit durchtränkt ist. Und dann ist der Strumpf kaputt. Es lässt sich nicht mehr reparieren. Die Vergiftung verseucht den Körper. Der lässt sich mit gutem Willen wieder reparieren, aber das ist schwer.“ Deshalb zog sie den Strumpf aus und warf ihn weg. Dann fiel ihr ein, dass es das letzte Paar dieser Art gewesen war. Deshalb warf sie den zweiten auch gleich weg. Es war nicht nur aus praktischen Gründen gerechtfertigt. Auch der sich ausbreitenden Nostalgie war damit Genüge getan. Ab in den Müll und alles war vorbei und gut. War es das?

 

„Was, wenn diese Erreger, die in das Gewebe eindringen, durch das kleine Loch im Strumpf, wenn er dem Druck nachgibt, die in mich eindringen, durch die Öffnung, die ich für Dich zulasse, wenn diese nicht vergiften, sondern heilen?“, fragte sie sich unvermittelt. Sich emotional einzulassen, das kann schmerzen, das wusste sie nur allzu gut. Aber sie hatte ebenso erlebt, dass es heilen konnte, dass es das Misstrauen und die Vereinzelung zu vertreiben vermochte. Aufgefangen, gehalten, gewärmt und behütet. Auch das konnte es sein. Die Erreger, die das Verkrustete auflösen und wegwaschen. Es kann das sein oder jenes. Man weiß es nie, nicht im Vorhinein, nicht, wenn man es verhindert, dass man sich darauf einlässt. Aber wenn man sich nicht darauf einlässt, dann kann man es nicht wissen. Was einen davon abhält es erfahren zu wollen, ob es so oder so ist, ist die Tatsache, dass es sich nicht so leicht entsorgen und ersetzen lässt wie einen zerrissenen Strumpf.

 

„Strümpfe können auch heil bleiben“, dachte sie weiter und wohl auch durchaus folgerichtig. Natürlich nicht für immer, aber nichts auf der Welt ist darauf ausgerichtet für immer zu halten. Schon allein vor der Größe des Anspruchs musste man kapitulieren, aber man neigt letztlich nur dann dazu das Äußerste zu fordern, wenn man davon ablenken möchte, dass man sich noch nicht einmal auf das Lebbare einlassen will. Eine äußerst geschickte Ausrede um sich in der Leblosigkeit einzurichten. Deshalb holte Martinique den kaputten Strumpf, und auch den intakten und hängte sie an die Wand. Als Mahnung. Als Zeichen. Als Möglichkeit. Als Gewissheit.

 

„Es ist nicht gut sich zu verlieren“, sagte sie, ohne jede weitere Einleitung, nachdem sie, angetan mit einem intakten Paar Strümpfe kurze Zeit später Christian wieder gegenüberstand, „Es ist aber ebenso nicht gut sich nicht zu verlieren.“ Wortlos sah er sie an. Ein wenig irritiert. Ein wenig überrumpelt. Aber auf jeden Fall sicher, dass er dieser Situation nicht einfach so entkommen konnte. Vielleicht auch nicht wollte. Jedenfalls bugsierte er sie ins Haus. Zumindest musste das nicht auf der Gasse besprochen werden, wenn sie jetzt schon einmal da war.

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