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Life is too short for boring stories

Mark ließ mutlos die Hände sinken. Jetzt, da er so nahe bei Yvonne saß, schien es ihm die Sprache zu verschlagen. Da war dieses taffe, energische Mädchen, das sich nicht von ihm anwandte, sondern ihn sogar aufforderte seine Geschichte zu erzählen und er, mit seinen inneren und äußeren Verstümmelungen. Er merkte wie gut sie roch. Verstohlen ließ er seinen Blick über ihren Körper wandern und bemerkte, dass der Rock ein wenig verschoben war, so dass er den oberen Rand ihrer Strümpfe erkennen konnte. Rasch sah er wieder weg, als wäre er bei einer Schandtat erwischt worden. Yvonne musste es bemerkt haben, aber sie lächelte ihn nach wie vor an, aufmunternd und motivierend.

„Ich beginne am besten am Anfang“, hob er an, „Also noch vor meiner Geburt. Meine Mutter war sehr stolz auf ihre drei Töchter. Sie wollte immer nur Mädchen, denn ihrer Meinung nach war ein Mann, mein Vater, im Haus, schon einer zu viel. Das ließ sie ihn auch immer spüren, was ich allerdings nur aus Erzählungen weiß, denn er starb, als meine Mutter gerade entdeckt hatte, dass sie mit mir schwanger war. Als ihr ihre Gynäkologin auch noch mitteilte, dass sich die falschen Chromosomen gepaart hatten, war sie nur mehr wütend, versuchte auf jegliche erdenkliche Weise die Schwangerschaft zu unterbrechen. Die Einzelheiten erspare ich Dir, aber ich war offenbar zu widerstandsfähig, denn ich kam zur Welt. Und vom ersten Tag an ließ sie mich spüren, wie unwillkommen ich war. Dass ich überhaupt am Leben bin verdanke ich wohl ihrer verschrobenen Religiosität, die eine professionelle Abtreibung verbot, und das Gerede der Leute. Darauf legte sie immer enorm viel Wert. Deshalb zeigte sie sich auch in der Öffentlichkeit immer als perfekte Mutter. Bei meinen drei Schwestern fiel ihr das nicht schwer, denn sie himmelte sie an. Aber bei mir war es wohl eine große Herausforderung. Einmal, ich muss ungefähr fünf gewesen sein, war sie nach einer Familienfeier so wütend, weil sie sich so zusammenreißen hatten müssen, dass sie mich durch eine Glastüre warf. Daher die Narben in meinem Gesicht. Im Spital meinte sie, ich wäre durchgelaufen. Denn Jungs wären so ungestüm, wie sie lächelnd und kokett meinte. Und es wurde ihr geglaubt. So wuchs ich auf und versuchte, mich so unsichtbar wie möglich zu machen. Ich wünschte, dass es mich gar nicht gäbe, aber es gab mich und dass das schrecklich war, das ließ mich meine Mutter bei jeder Gelegenheit spüren. Als ich endlich mit der Schule fertig war, suchte ich mir einen Job und zog aus, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Meine Mutter war offenbar froh darüber, denn ich habe nie mehr etwas von ihr gehört. Ich schlug mich durch. Überall, wo meine körperliche Kraft von Vorteil war, wurde ich gerne genommen. Jetzt gerade arbeite ich als Nachtwächter. Da begegne ich ganz wenigen Menschen.“
„Danke, dass Du mir Deine Geschichte erzählt hast“, erwiderte Yvonne, die ruhig zugehört hatte, mit erstickter Stimme, während ihr Tränen über die Wangen liefen. Sie zeigte keine Veranlassung sie zu verbergen.
„Aber ich wollte Dich nicht traurig machen“, meinte Mark sanft.
„Das weiß ich“, sagte Yvonne, „Die ganze Zeit habe ich gedacht, ich würde diesen kleinen Jungen gerne in die Arme und einfach mit mir nehmen. Und damit setzte sie sich auf und strich diesem kleinen Jungen, der er immer noch war, auch in der Gestalt eines großen Mannes, sanft über die Wange, über seine Narben, als könnte sie sie heilen. Eine sanfte, kleine, aber nachhaltige Berührung, bevor sie ihn in die Arme nahm und sie spürte, wie er losließ. All die ungeweinten Tränen brachen sich Bahn, während ihre Hand zärtlich über seinen bebenden Rücken strich, bis er langsam wieder ruhiger wurde. Endlich schob er sie von sich.
„Was musst Du nur von mir denken“, meinte er.
„Dass Du ein zutiefst verletzter Mensch bist und es Zeit wird diese Verletzungen zu heilen“, erklärte sie. Da wagte er es auch endlich, seine Hand zu heben und über ihre linke Gesichtshälfte zu streichen.
„Was ist da passiert?“, fragte er.
„Meine Mutter hat mein Gesicht mit dem Bügelbrett verwechselt“, sagte Yvonne, „Auf jeden Fall hat sie das heiße Bügeleisen darauf abgestellt. Aber das kann schon mal passieren, im Suff.“ Da wurde sich Mark bewusst, dass nicht nur er Verletzungen mit sich herumtrug, die geheilt werden mussten.

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