Es war der zweite Sonntag im Mai, an dem traditionell Muttertag gefeiert wird. Es war warm und sonnig, so dass meine Kinder und ich einen Spaziergang unternommen hatten, um nun entspannt auf der Terrasse eines Cafés zu sitzen. Wir plauderten über dies und das, während nicht zu überhören war, dass am Nebentisch eine heftige Diskussion geführt wurde. Wir versuchten tunlichst, es zu ignorieren. Schließlich ging es uns nichts an. Doch der Friede blieb uns nicht vergönnt, denn mit einem Mal drehte sich die Dame, die mit zwei Freundinnen am Nebentisch saß, zu uns um und sagte völlig unvermittelt:
„Ich bin mir sicher, Ihr habt Eurer Mutter zum Muttertag was geschenkt und mit ihr gefeiert, so wie es sich gehört.“ Irritiert sah ich die Dame an, doch nachdem die Aufforderung nicht an mich ergangen war, überließ ich die Erwiderung meinen Kindern, wobei ich nicht verhehlen will, dass ich sehr gespannt war auf ihre Antwort.
„Sie meinen, weil sie uns das Leben geschenkt hat und alles für uns tun würde, weil sie uns über alles liebt?“, fragte zunächst meine Tochter nach.
„Ja, genau deshalb. Das hat sich doch jede Mutter verdient“, erklärte die Dame weiters.
„Sie meinen also, dass es sich jede Mutter verdient hat, jede auf dieser Welt, dass sie mit ihren Kindern zusammen sein darf, von mir aus auch, um den Muttertag zu feiern?“, fuhr nun mein Sohn fort, um mehr über ihr Anliegen zu erfahren.
„So meinte ich das. Und ich denke, das ist doch wohl das Mindeste!“, ereiferte sich jene Dame. Ich konnte beobachten, dass meine Kinder einen kurzen Blick wechselten, sich zunickten.
„Warum haben Sie dann kein Problem damit, dass Müttern ihre Kinder weggenommen werden, gleich nach der Geburt, nur damit Sie ihre Latte Macchiato trinken können?“, meinte meine Tochter.
„Und diese Babies dann ganz alleine, verängstigt in Miniboxen stehen, bei jedem Wetter oder in Transporter verfrachtet werden, ohne versorgt zu werden, um tausende Kilometer weit verbracht zu werden?“, fügte mein Sohn hinzu.
„Sind denn diese Mütter nichts wert? Haben sie es sich nicht verdient, dass sie ihre Babies bei sich haben?“, ergänzte meine Tochter.
„Aber ich mache doch nicht, ich kann doch nichts dafür“, echauffierte sich die Dame.
„Natürlich können Sie, Sie trinken Kuhmuttermilch“, sagte gelassen mein Sohn.
„Ich wusste das alles nicht“, nahm die Dame einen weiteren Anlauf, aber auch das nützte ihr nichts.
„Desto schlimmer“, meinte meine Tochter bloß.
„Und überhaupt, ihr wollt doch Eure Mutter nicht mit einer Kuh vergleichen“, erklärte sie erzürnt.
„Natürlich wollen wir. Es sind beides Säugetiere, die ihre Kinder umsorgen und lieben. Wo ist da der Unterschied?“, fuhr mein Sohn fort.
„Und außerdem, ist es gerecht, dass Sie für Ihre Malakofftorte nicht nur einer Mutter ihre Babies weggenommen werden, sondern Sie auch dafür sorgen, dass Millionen von ihnen bei lebendigem Leib geschreddert werden. Oder für ihr Schinkensandwich weibliche Tiere zwangsgeschwängert werden, damit das hormonreiche Blut abgezapft wird, wobei zuletzt das Baby abgetrieben und weggeschmissen wird? Meinen Sie, dass all diese Mütter kein Recht haben auf ihre Kinder, die sie behüten und umsorgen wollen, in Freiheit und mit aller Hingabe?“, rundete meine Tochter die Argumentationskette ab.
„Jetzt sagen Sie doch auch mal was!“, forderte mich die Dame direkt auf, „So können Ihre Kinder doch nicht mit mir reden.“
„Erstens tun sie nichts weiter, als die Wahrheit zu sagen, schon allein deshalb werde ich das nicht unterbinden und zweitens sind sie selbständig denkende Menschen. Sie haben sie gefragt, meine Kinder haben geantwortet“, erklärte ich ruhig, „Und was den Muttertag betrifft, so freue ich mich bei ihnen zu sein, darüber, dass wir einander verstehen und respektieren. Doch so lange auch nur eine einzige Mutter auf dieser Welt ausgebeutet wird für den bloßen Genuss, so lange auch nur eine einzige Mutter ohne einen wirklich triftigen Grund von ihren Babies getrennt wird, so lange ist es ein Affront Muttertag zu feiern. Ich hoffe, das genügt Ihnen als Antwort.“
Pikiert wandte sich die Dame wieder zu ihrem Tisch. Sie sagte nichts mehr, aber dass sie sich Schinkensandwich, Malakofftorte und Latte Macchiato trotzdem schmecken ließ, war wohl Antwort genug.

Aus: Leben & leben lassen. Geschichten von Veganismus & Aktivismus