Bekanntermaßen verschickt Amor, der kleine, freche Gott, der nie erwachsen wird, seine Pfeile und versetzt diejenigen, die sie treffen in heftigen Liebestaumel. Nun scheint er eher unkontrolliert mit dieser Gabe umzugehen. Kann aber auch sein, dass er tatsächlich den Menschen Streiche spielt, die nicht selten fatal enden. Praktisch wäre es, wenn er sich zwei Menschen aussuchte, diese gleichzeitig mit dem Pfeil bedenkt und alles wäre gut. Dem ist aber mitnichten so. Da verliebt sich nicht etwa A in B und B in A, sondern A verliebt sich in B, B jedoch in C, obwohl C die Emotionen in D investiert und D wiederum sich in A verguckt. So passt nichts zusammen und es ist auf den ersten Blick davon auszugehen, dass zu guter Letzt alle kreuzunglücklich sind. Dank sei Amor. Machen wir es ein wenig konkreter. Da waren Anna, Berthold, der Bert genannt werden wollte, Christa und Detlev, mit v geschrieben, denn das f war ihm zu vulgär. Diese vier pflogen eine langjährige Freundschaft, so dass sich eine gewisse Verliebtheit, von der einen oder anderen Seite, kaum vermeiden ließ.
So verliebte sich Anna in Bert. Anna war eine bodenständige, lebenslustige, robuste Frau, die sich so leicht durch nichts erschüttern ließ, nicht einmal durch die Sturmwinde der Gefühle, mit denen sie sich eines Tages konfrontiert sah und sich dementsprechend damit auseinandersetzen musste. Nun war sie sich durchaus bewusst, dass Bert sich nicht in sie verliebt hatte. Einige Tage, während sie Krägen an Hemden nähte – sie war nämlich Näherin in einer Fabrik für exklusive Herrenhemden -, dachte sie darüber nach. Dann fasste sie einen Entschluss und bat Bert zu ihr zu kommen und setzte ihn von der Art ihrer Gefühle ihm gegenüber in Kenntnis. Gab auch ohne weiteres zu, dass sie um die Nichtäquivalenz seiner emotionalen Befindlichkeit im Vergleich zu ihrer Bescheid wusste, vergoss noch ein paar Tränen, woraufhin sie Bert – nur als guter Freund – tröstete und für sie damit das Thema erledigt war. Nicht, dass sie diese kleine Sehnsucht nach Erfüllung ihrer Träume nicht manchmal einholen würde, aber sie verstand es, diese für sich zu behalten, denn schließlich gab es Wichtigeres. Wie ihre Freundschaft, die sie keinesfalls aufs Spiel setzen wollte. So nähte sie ihre Hemden und freute sich, dass sie ein Einkommen hatte, das ihr sicher erschien, an ihrer kleinen Wohnung und den gemeinsamen Aktivitäten mit ihren Freund*innen. Daneben engagierte sie sich für Arbeiter*innen, die es in ihren Augen nicht so gut getroffen hatten, wie sie selbst und befand, dass ihr Leben damit ausgefüllt genug wäre.
Bert hingegen, ein Student der Philosophie, dessen Steckenpferd der dialektische Materialismus war, fand Anna in all ihrem tatkräftigen Pragmatismus, beinahe ein wenig beängstigend, wusste aber ebenso um ihre Gutmütigkeit und ihre Lebensfreude. Das ließ die Direktheit ein wenig weicher erscheinen. Wenn sie ihm von ihren Gedanken über den globalen Herrenhemdenmarkt erzählte, war er immer wieder erstaunt, auf wie simple Weise man das Wesentliche zusammenfassen und erklären konnte.
„Wenn ich nun diese Hemden nähe, also ich und meine Kolleginnen, die dann um über € 300,– verkauft werden und ich daran denke, was ich verdiene, dann muss da viel übrigbleiben. Wenn aber nun die Chefs der Fabriken, in denen die billigen Hemden genäht werden, irgendwo ganz weit weg, genauso viel verdienen, wie mein Chef, dann bekommen die Arbeiterinnen noch viel, viel weniger. Und trotzdem können wir die Hemden billig kaufen“, überlegte sie dann laut, „Das heißt aber, dass wir die billigen Hemden und auch alle anderen Sachen, nur so billig kaufen können, weil die anderen so wenig bekommen.“
„Das ist ja schon dialektisch, also bis auf die Synthese, aber zumindest These und Antithese sind vorhanden und nachdem Du Dich auf konkrete Dinge beziehst und nicht auf bloße Ideen, ist es materialistisch zu nennen“, erklärte ihr Bert. Anna wiederum, die noch nie etwas von Dialektik gehört hatte und somit nichts mit dem Begriff anfangen konnte, ahnte doch aus seinen Worten, dass es sich um ein Kompliment handelte.
„Da bin ich also dialektisch und weiß noch nicht einmal was davon“, fasste sie zusammen, sah in die Runde und ließ ihr helles, klares Lachen erklingen, in das die anderen einstimmten. Bert verstummte als erster, denn sein Blick fiel voller Wehmut auf Christa, in die er verliebt war, die aber wiederum seine Liebe nicht erwiderte. So begnügte er sich damit, schüchtern und zurückhaltend, wie er nun mal als feinsinniger, kunst- und gedankenbeflissener Mensch war, sie verborgen anzuschmachten und die wunderschönsten Liebeselegien zu schreiben, die je zu Papier gebracht worden waren, wie er zumindest befand. Jemand anderer konnte es nicht, denn er vergrub sie in den tiefsten Abgründen seiner Seele respektive dem hintersten Eck seiner Sockenschublade. Christa blieb das Wissen um seine Gefühle für sie verborgen, so dass sie einfach dachte, er wäre sehr galant und zu allen Frauen so.
Noch mehr rund um das Thema Liebe

Geschichten über die Liebe und andere Absonderlichkeiten


***