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Life is too short for boring stories

Ich erwache, weil ich keine andere Wahl habe, in eine Gegebenheit. Die Freiheit wird nicht durch die Gegebenheit an sich begrenzt, sondern nur durch die Notwendigkeit einer Gegebenheit. Irgendeiner Gegebenheit. Das an sich der Gegebenheit kann ich nicht ändern, sehr wohl aber die Gegebenheit, in die ich erwache. Immerhin. Doch auch davon mache ich nur allzu selten Gebrauch. Ich bin es nicht gewohnt in Gegebenheiten einzugreifen.

Mehr noch, ich war so lange auf Vorgegebenes eingespielt, dass ich darauf vergessen hatte, dass ich Einfluss nehmen konnte. Als würde ich vor einer Schüssel mit Wasser sitzen. Kein Windhauch weht. Nichts berührt die Wasseroberfläche. Ich halte den Atem an. Unbewusst, da ich bemerke, wie sich eine Feder schaukelnd auf dem Wasser niederlässt. Leichte Wellen kräuseln die Oberfläche, durchbrechen die Bewegungslosigkeit. Da erst bemerke ich, dass es möglich ist, Bewegung, und es passiert dennoch nichts, nur, das, dass ich die Gegebenheit beeinflussen kann. Zunächst zaghaft mache ich von der neuentdeckten Möglichkeit Gebrauch. Dann immer dreister. Es bereitet mir Freude. Ich bin nicht mehr ausgeliefert, da ich mein Potential zu nutzen beginne. Weil ich es kann.

 

Ich erwache, weil ich keine Wahl habe, in eine Gegebenheit, aber in eine, die ich mir selbst ausgesucht habe. Es dauert eine kleine Weile, bis ich weiß welche Gegebenheit ich für mich und mein Erwachen gewählt und mich darin eingerichtet habe. Das Licht des nahenden Morgens ist noch schwach und alles um mich ist noch im Schlaf befangen. Auch Du. Ich begreife schneller als ich sehe. Ich fühle die Wärme Deiner Haut. Neben mir. Auf meiner Hand. Meiner Brust. Meinem Bauch. Meinen Schenkeln. Ich habe mich wohl im Schlaf fest an Dich gedrückt. Selbst im Schlaf vermag ich Einfluss auf die Gegebenheit zu nehmen. Doch nun, wo ich wach bin und die Möglichkeiten sich entsprechend erweitern, will ich es lassen wie es ist. Dein Brustkorb hebt und senkt sich regelmäßig. Ruhige, sanfte Atemzüge. Du bist nicht erwacht. Es ist gut. Ich will Dich schlafen lassen. Es ist nicht notwendig, dass Du aufwachst. Mehr noch, es ist gut, denn ich sehe Dich an. So vertraut. So nahe. Einfach ansehen, wie ich es nur kann, wenn Du es nicht bemerkst. Ich brauche nichts zu erklären. Du wirst mich nicht fragen. Ich hätte weder eine Erklärung noch eine Antwort, denn ich sehe Dich, ohne Zweck oder Ziel. Ich sehe Dich an ohne Interesse. Der Blick steht für sich selbst. Er ist, weil ich vergessen habe, dass er ist und aufnimmt, was auch immer es ist. Unterschiedslos. Ohne zu werten oder zu urteilen.

 

Ich erwache, weil ich keine Wahl, aber Einfluss habe, in die von mir gewollte Gegebenheit, in der ich nichts weiter tue, als Dich anzusehen. Und mein Blick überbietet an Sanftheit selbst die sachteste Berührung. Interesselos. Selbstvergessen. Einfach weil es ist. Nichts anderes, nichts weiter. Es ist gut. Vorsichtig löse ich meine Haut von Deiner. Kurz überlege ich Dir einen meine Lippen aufzudrücken, doch ich halte mich zurück. Ich will Dich nicht wecken. Lautlos schlüpfe ich in meine Kleider und verlasse das Zimmer und die Wohnung, hinaus, irgendwo hin. Es tut nichts zur Sache. Mein Blick umkleidet Dich. Vielleicht findest Du ihn, wenn Du erwachst. Ich habe Dich umkleidet, mit diesem Blick, der weder Zweck noch Ausrichtung, der kein Interesse hat. Ich nehme ihn mit mir mit, in eine andere Gegebenheit, damit er auch mich umkleidet, wenn ich dort draußen bin und friere

Aus: Lebensbilder

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