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Life is too short for boring stories

Wäre Christa nicht so schüchtern und verschreckt gewesen, beinahe wie ein kleines Kaninchen, hätte sie gemerkt, dass Bert andere Frauen viel rüpelhafter behandelte, wenn er sie denn überhaupt beachtete. Sie war aber wie sie war und in ihrer Naivität beinahe entzückend zu nennen. Vielleicht war das einer der Gründe, dass sie Spielzeug konzipierte, süßes, verträumtes, in erster Linie rosafarbenes Spielzeug für kleine Mädchen. Sogar ihr Äußeres passte zu dieser Tätigkeit, denn sie war klein, schmal und zierlich. Demgegenüber hätte man Bert eher für einen Straßenarbeiter oder zumindest für einen Landwirt halten können, als für einen vergeistigten Kopfmenschen, so groß und breitschultrig wie er war. „Die Schultern braucht ein Mann, um dem Mädchen die Möglichkeit zu geben, sich an derselben auszuweinen oder vor der Unbill der Welt zu verstecken“, pflegte er sachlich zu sagen, wobei er geflissentlich ausließ, wen er mit Mädchen konkret meinte. Dennoch war es für Anna sonnenklar, der Berts Emotionen für Christa nicht entgangen waren, wohl auch, weil es genau dieselben waren, die sie, Anna, Bert entgegenbrachte. Dabei war es weniger der Achtlosigkeit Christas geschuldet, diese Art der emotionalen Befindlichkeit nicht zu bemerken, sondern mehr ihrer eigenen bezüglich Detlev, der zwar groß, aber eher schmal war und dessen Schultern sich weder für Tränen noch für Weltabgewandtheit eigneten. Dennoch war Christa in Detlev verliebt, bis über beide Ohren, wie man so schön sagt. Ein Indiz war, dass sie immer wieder rot wurde und die Augen verschämt oder verzückt niederschlug– ganz genau kann man das nicht sagen, weil durch das Niederschlagen der direkte Blick darauf verhindert wurde -, wenn Detlev sie nur ansah.

„Meine Eltern haben mich Detlev genannt, mit v,“, pflegte er zu sagen, „weil das v ein aristokratischer Buchstabe ist, wohingegen das f ziemlich vulgär daherkommt.“ Die anderen nahmen es hin, was er als Zustimmung auffasste. In Wahrheit war es ihnen schlicht egal, vor allem Christa, die still vor sich hin litt und trotzdem so oft wie möglich in seiner Gesellschaft sein wollte. Sie gehörte zu den Mädchen, die in früheren Jahrhunderten wohl zur Märtyrerin geworden oder ins Kloster gegangen wäre, um sich in zweiterem Fall bis zu ihrem Lebensende nach dem Mann ihrer Träume zu verzehren. Detlev jedenfalls hatte keine Ahnung und benahm sich dementsprechend unvoreingenommen. Er war ein Mann der Zahlen und als Buchhalter in der Fabrik, in der Anna Hemden nähte, bestens aufgehoben. Er war es gewohnt alles zu berechnen.

„Zahlen lügen nicht“, meinte er, mit jener Unerschütterlichkeit, die Menschen eigen ist, die gedanklich an einer Stelle stehen bleiben und es nicht für nötig befinden, sich in irgendeiner Weise weiterzuentwickeln. So war er auch fest davon überzeugt, dass er ein Mädchen nur lange genug zu hofieren brauchte, um sie dazu zu bewegen, sich ihm hinzugeben. Die Überlegung dahinter war so simpel wie alle anderen, die er anstellte. Mit dem Mädchen war es wie mit einem Auto. Mann sucht sich eines aus, zahlt die Anzahlung und jedes Monat einen bestimmten Betrag, bis einem das Auto gehört. Bei dem Mädchen investiert man Aufmerksamkeit und Galanterie, die sich in monetäre Werte umrechnen lassen, z.B. in Form eines Stundensatzes und wenn man diese Zahlungen ordentlich und pünktlich geleistet hat, dann muss das Mädchen einen zum Schluss erhören. Wenn das das Mädchen nicht tut, dann ist sie seltsam. Dies setzte Detlev auch Anna auseinander, nachdem er viele Monate um sie geworben hatte. Statt allerdings einzuwilligen, erklärte sie ihm geradeheraus, dass sie kein Interesse in jener Hinsicht an ihm hätte. Detlev verstand die Welt nicht mehr und es erwies sich auch alles völlig aussichtlos, ihm auseinanderzusetzen, dass man die Art der Inbesitznahme eines Autos nicht mit der eines Mädchens vergleichen konnte. Das waren zwar zwei verschiedene, aber eben doch Dinge, so seine Ansicht.
„Das heißt Materialismus und zwar völliger“, fasste Anna zusammen und war erfreut, als Bert es ihr bestätigte. Sie war sehr stolz, dass sie etwas so Kompliziertes verstanden hatte. Detlev jedoch wusste es nicht zu würdigen. Materialismus hin, Idealismus her, er war beleidigt, dass seine Rechnung nicht aufgegangen war, was ihm sonst niemals passierte, zog sich eine Weile schmollend zurück, um eines Tages wieder aufzutauchen, als wäre nichts gewesen. Und nachdem die vier zum Glück nicht nur irgendwie vertrackt ineinander verliebt waren, sondern in erster Linie Freund*innen, nahm es ihm niemand krumm und bald schon waren sie wieder ausgelassen und guter Dinge.

Nun fragt man sich natürlich, wie vier so unterschiedliche Menschen zu Freund*innen hatten werden können. Dazu muss man wissen, dass es etwas gab, was sie verband, und das war ihre Leidenschaft für die Musik und den Stil der 50er Jahre. Wenn Christa sich im süßen Petticoat präsentierte, Detlev, auch wenn er vom aristokratischen v keinen Abstand nahm, a la James Dean in Lederjacke und Lässigkeit erschien, Bert Marlon Brando mimte und Anna die Keilhose ausführte, die Bluse kess vor dem Nabel gebunden, dann war das Leben voller Fröhlichkeit und Beschwingtheit und niemand dachte mehr an unglückliche, emotionale Verstrickungen, an denen nur der launige kleine Amor schuld war.

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