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Life is too short for boring stories

Lara suchte jemanden, der Verständnis für sie aufzubringen vermochte. Es hätte wohl auch genügt, dass man so tat als ob. Auf dieser Suche kam sie zu mir. Eine Freundin aus früheren Tagen, die ich ob ihres obsessiven Lebenswandels aus den Augen verloren hatte. Sie war eine wahre Jet-Set-Queen geworden. Immer unterwegs, nirgends ankommend. Doch nun strandete sie bei mir und kaum, dass sie sich gesetzt und den ersten Schluck von ihrem Kaffee getrunken hatte, begann sie ihre Jammertirade herunterzuleiern. Wie schlimm doch das Leben wäre, jetzt, wo man nirgends hinkäme, als zum nächsten Supermarkt und ja, da war auch noch der Baumarkt. Das interessierte sie jedoch nicht. Das war so alltäglich und das macht doch jeder. So wie all die Menschen, die ihr kärgliches Dasein zwischen Arbeit und Abendfernsehen verbringen, angefangen beim Kindergarten bis hin zum Altersheim und dazwischen bloße Wiederholung des immer Gleichen. Wie hielten diese Leute das bloß aus? Das war aber Lena im Grunde egal, so lange sie in der Welt herumkurven konnte, wie sie wollte. Aber genau das war ihr nun untersagt worden.

„Worüber reden die Leute bloß?“, fragte sie unvermittelt, „Ich meine, die erleben doch nichts. Vielleicht brauchen sie das auch gar nicht. Schließlich kennen sie es nicht anders. Da ist es auch kein Problem, wenn sie zu Hause bleiben müssen, aber mich davon abzuhalten, das ist schon beinahe vulgär.“

„Und worüber redet ihr so, in eurer sogenannten Szene?“, konnte ich mich nicht unterstehen nachzuhaken.

„Na über die wichtigen Dinge des Lebens“, erklärte Lara etwas ausweichend.

„Und was ist wichtig?“, ließ ich nicht locker.

„Na ja, wo man war, wo man hinfährt, wen man getroffen hat, wen man kennt, wer mit wem, Du weißt schon, und solche Sachen eben“, versuchte sie sich an einer Antwort.

„Und das ist wirklich wichtig? Ich meine, es befördert Dein Leben und macht Dich glücklich?“, fuhr ich unbeirrt fort.

„Natürlich, und ja, glücklich bin ich auch. Sonst wäre ich doch nicht jetzt so unglücklich“, erklärte sie, bereits ein wenig pikiert.

„Meinst Du nicht, dass es sich eher um ein Betäuben handelt, durch dauerndes Herumfahren und immer überall und nirgends sein, mit Menschen, die man nicht kennt oberflächliche Gespräche zu führen, ohne wirklich eine Begegnung zu erleben?“, fragte ich nach.

„Wie willst Du das wissen? Du bist doch immer nur zu Hause und hast noch nichts von der Welt gesehen“, erklärte sie rundheraus.

„Wenn Du mit ‚etwas von der Welt gesehen haben‘ meinst, dass ich nicht sämtliche fünf Sterne Hotels von hier bis Los Angeles abgeklappert habe oder von einer Yacht zur andern hüpfe, dann hast Du sicher recht“, gab ich zu, „Aber das wahre Leben spielt sich nicht dort ab.“

Und damit nötigte ich sie mit mir und den Hunden in den Wald zu gehen, ohne auf ihre Jammerei über das vielleicht modische, aber ansonsten unbrauchbare Schuhwerk, Rücksicht zu nehmen. Vergrämt darüber, dass ich ihr nicht nur kein Verständnis entgegengebracht hatte, sondern sie auch noch zwang, sich mit den Widerwärtigkeiten der ungeordneten Natur auseinanderzusetzen, jammerte sie vor sich hin. Endlich erreichten wir die Lichtung, die ich als Ziel unseres kleinen Spaziergangs auserkoren hatte. Dort setzen wir uns auf eine Bank in der Sonne und die Hunde legten sich ruhig zu unseren Füßen ins Gras.

„Was sollen wir denn hier?“, muckte Lara ein weiteres Mal auf, doch ich gebot ihr mit einem Handzeichen zu schweigen. Es war die richtige Zeit, der Wind stand still und nach wenigen Minuten geschah das, was ich gehofft hatte. Vorsichtig, sich immer wieder umsehend, traten eine Hirschkuh und ihr Kalb auf die Lichtung. Sie schienen uns nicht zu entdecken. Auch die Hunde verhielten sich ruhig, so dass diese scheuen Geschöpfe es wagten ihre Köpfe zu senken und zu äsen. Ich hatte sie auf meinen Spaziergängen schon ein paar Mal gesehen und gehofft, dass auch Lara dies erleben durfte. Kurz sah ich zu ihr hinüber, die schweigend und staunend dasaß. Eine halbe Stunde vielleicht sahen wir Mutter und Kind zu, dann verschwanden sie wieder im Wald. Irgendetwas musste sie erschreckt haben.

„Ich hatte gar nicht gewusst, dass es das bei uns gibt“, meinte Lara leise, als sie endlich ihre Worte wiedergefunden hatte, „Es ist so wunderschön und friedlich.“

Ich konnte nicht abschätzen, was diese Begegnung in Lara bewirken würde, aber ich merkte, dass es etwas in ihr verändert hatte, als sie mich verließ. Es war ein Anfang.

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