Es war einer jener, mittlerweile nicht mehr so häufigen, Gelegenheiten, da ich mich mitten in der schönsten Depression eingerichtet hatte, offenbar mit dem unausgesprochenen, ja unausgedachten Vorsatz eine Weile zu verbleiben, als Du zu mir kamst. Ich hatte Dich nicht eingeladen und hätte es auch nicht getan, da ich mich doch eigentlich an einem Ort befand, an den ich Dich weder mitnehmen wollte, noch hättest Du Dich dort wohlgefühlt. Aber Du warst trotzdem da, und ich machte mich wohl oder übel daran auch dort anwesend zu sein, wo Du bei mir warst, in erster Linie aus Höflichkeit. Denn nur wirklich guten Freunden kann man sagen, dass man jetzt eigentlich lieber alleine wäre. So gute Freunde waren wir allerdings nicht und werden es auch nie sein. Nicht, weil ich nicht wollte, sondern es ist schlicht und ergreifend unmöglich.
„Schuld an dem allen ist Deine Einstellung“, erklärtest Du mir, ungefragt, allerdings in vorbildlichster Pädagogenmanier, „Deine Einstellung und Dein Hang zur Dramatik, zur Absolutheit, wenn man so will.“
„Wie meinst Du das?“, konnte ich mich nicht enthalten nachzufragen, auch auf die Gefahr hin, dass ich die Antwort eigentlich schon kannte, und sie mich weder überraschen, noch überzeugen konnte, aber man darf nie von vorgefassten Gedanken ausgehen. Die Menschen können einen auch noch überraschen. Mitunter.
„Bei Dir gibt es immer nur ganz oder gar nicht“, begannst Du zu erklären, was schon der erste Teil der Nicht-Überraschung war, denn erstens weiß ich selber wie ich bin, und zweitens ist das nicht schwer herauszufinden, „Du machst alles mit so viel Euphorie und Engagement und Einsatz, eigentlich mit allem, was Du aufzubieten hast und fliegst so gen Himmel. Klar doch, dass Du dann auch ganz tief abstürzt. Für mich ist das gar keine Überraschung. Und dann sitzt Du in Deinem Loch unten und jammerst und siehst nur mehr schwarz, so wie Du vorher nur weiß gesehen hast, und möchtest am liebsten alles hinschmeißen, auch das, was mit dem eigentlichen Auslöser nichts zu tun hatte. Dabei gäbe es so eine einfache Lösung zu Deinem Problemchen.“
„Und wie sähe diese einfache Lösung aus zu meinem Problemchen?“, fragte ich nach, mich nun doch auch in meinem Depressionsloch bewegend, denn der von Dir so hübsch drapierte Diminutiv ärgerte mich ein wenig, denn Du redetest etwas klein, wovon Du keine Ahnung hattest, wie mir vorkam.
„Geh alles so an wie bisher, mach was Du gemacht hast, das kann alles bleiben wie es ist, aber nur mit dem halben Einsatz, auch persönlichem. Lass Dich nicht immer so umfassend berühren, nicht so hinaufziehen, nicht so sehr involvieren“, rietst Du mir, unkreativ, da pädagogisch wertvoll, „Wenn Du nicht immer so viel Herzblut und so viele Gedanken in alles investieren würdest, würde es Dich auch nicht so sehr berühren, wenn mal was nicht klappt oder gar schief geht. Sei einfach lockerer.“
„Das ist also Dein Vorschlag?“, fragte ich noch, um Dir doch noch die Chance zu geben nochmals ein wenig nachzubessern, falls Du einen Moment darüber nachdächtest. Aber Du tatest es offenbar nicht, denn ich hatte die Frage kaum ausgesprochen, da antwortetest Du auch schon.
„Ja, genau“, scheinbar beglückt, Deinem Grinsen nach zu urteilen.
„Und das sollte ich tun, weil es das Leben in Balance bringt und Ruhe schenkt und vernünftig ist?“, hakte ich nochmals nach.
„Ja, genau, das tut es, wenn man das Feuer des Enthusiasmus nicht immer gleich so hochschnellen lässt, dann kann man sich auch nicht verbrennen“, führtest Du, metaphorisch wertvoll, aus.
„Und Du hast Dich sicherlich noch niemals verbrannt?“, musste ich mich noch vergewissern.
„Nein, noch nie“, meintest Du mit Entschiedenheit.
„Du hast also ein Leben geführt, das so dahinschleicht, weder schnell noch langsam, weder bemerkenswert noch unwichtig, weder heiß noch kalt, weder links noch rechts vom Hauptverkehrsweg, trottend, blökend in der Schar der Schafe, sich immer nach dem Leithammel richtend, der vorgibt was sich gehört. Niemals die Stimme erhebend, nur leise und betulich, bequem für Dich und die anderen“, begann ich zu erwidern, „Du hast nie wirklichen Schmerz zugelassen, und bist damit auch in den dumpen Gewässern der Freudchen dahingetümpelt. Langweilig, abgerichtet und sittsam“, sagte ich mit aller Entschiedenheit, und weil ich verhindern wollte, dass Dir doch noch eine pädagogische Weisheit vom Maßhalten in den Sinn käme, fuhr ich fort, „Doch Du kannst das Leben nicht auf Sparflamme halten, wenn es ein gelebtes sein soll. Halb, lau und fad, das ist lebendig tot sein. Zugegebenermaßen sind das viele, aber ich will leben, mit allen Höhen und Tiefen. Liebs oder lass es, alles dazwischen drin ist unecht und aufgesetzt. Aber eines hast Du damit erreicht, Du hast mich wieder vorangetrieben, denn ich weiß nun, das ich lebe, und das macht mich glücklich.“ Sprachs und verließ den Ort des Geschehens, auch wenn es mein Lebensbereich war, aber Du würdest es schaffen die Türe hinter Dir zu schließen, wenn Du gingst. Sogar Du, aber natürlich leise.
Das Leben literarisch ergründen

Ungezähmt. Anleitung zum Widerstand


Der Weg ist das Ziel ist der Weg
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