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Life is too short for boring stories

Nachdem sie sich lange genug an meiner Zerknirschung geweidet hat, fährt sie fort: „Ich habe das Milchpulver mit, in einer Dose, mit dem notwendigen Portionier Löffel. Des weiteren muss ich eine Thermosflasche mit abgekochtem, heißen, keimfreiem Wasser mitnehmen, denn die Kleinen sind ja so anfällig, vor allem der Bauch, und dann noch eine Flasche mit abgekochten kalten Wasser. Somit kann ich auf die exakte Trinktemperatur hin mischen.“

Ein weiters Mal bin ich zutiefst beeindruckt. Ja, geradezu konsterniert. Schüchtern werfe ich ein: „Aber das ist doch ganz furchtbar kompliziert!“

„Ist es ganz und gar nicht. Du musst es nur ganz genau beobachten, je nach Thermoskanne nimmt die Temperatur des Wassers ab. Du musst also nur im Auge haben wieviel Grad kühler das Wasser innerhalb einer Stunde wird. Je nach Zeitablauf ändert sich demnach das Mischverhältnis, also alles in allem ganz einfach.“

„Ja, natürlich“, sage ich, doch nicht ganz überzeugt, „Aber jetzt verstehe ich was da alles drinnen ist.“

„Aber das ist doch noch längst nicht alles“, entgegnet meine Freundin, „Da ist dann noch die Wechselwäsche, falls mal was danebengeht, die Sachen zum Überziehen, falls es kühl wird und die leichteren Sachen, falls es wärmer wird als erwartet. Dazu noch Ersatzsocken, für die, die der Kleine regelmäßig aus dem Kinderwagen schmeißt und der Regenüberzug und der Sonnenschirm. Weiters Feuchttücher und Windeln, Cremen für den Popo und das Gesicht, letztere einmal für Sonne, einmal für Wind, und in zweifacher Ausführung altersgerecht.“ „Und wenn Du mir jetzt noch erzählst, Du hast die Kaffeejause auch noch eingepackt, bin ich wirklich beeindruckt“, sagt ich lachend, weil ich nie erwartet habe, dass dem so ist, aber dem ist so.

Nach gefühlten zwei Stunden Vorbereitungszeit können wir also endlich aufbrechen und kommen auch wohlbehalten am Spielplatz an, später, sehr viel später. Es ist ein durchaus unterhaltsamer Spaziergang.

„Jetzt weiß ich auch endlich warum Du so eine knackige Figur hast“, sage ich, während ich mich ungefähr zum hundertsten Mal bücke um einen Socken, einen Schnuller oder sonstiges vom Boden aufzuheben. Dabei habe ich noch nicht einmal den halben Hausrat am Rücken mitzunehmen.

„Da solltest Du mal meine Nachbarin sehen“, sagt sie, und der Neid in ihrer Stimme ist ein unverhohlener, „Die hat nicht nur drei Kinder, davon ein Zwillingspaar, die ungefähr so alt sind wie mein kleiner, sondern auch noch zwei Hunde.“

 

Drei Kinder und zwei Hunde, denke ich, und sofort entsteht ein Bild in meinem Kopf. Der Doppelkinderwagen, ein Kind am Kiddyboard, nachdem es innerhalb von einer Minute stundenlang gegangen ist, und links und rechts die beiden Goldies. Ja, in meinem Bild sind es Golden Retriever. Alles so vorurteilsbeladen, aber sie sind nun mal als die idealen Familienhunde verschrien, von durchschnittlicher Größe und freundlichem Gemüt. Auf jeden Fall sind es Fressmaschinen und säubern gewissenhaft den Weg von sämtlichen Essensresten, die so aus dem Kinderwagen oder vom Kiddyboard purzeln. Sie sind keine guten Familienhunde, weil sie es a priori sind, sondern weil sie ständig gefüttert werden. Das macht sie behäbig und apathisch. So schnell wird aus einem quietschfidelen Hund ein übergewichtiger Köter, der nur deshalb nicht schnappt, weil er zu faul dazu ist. Aber es findet sich doch alles. Oder vielleicht sind es auch zwei kleine Keifer, die das Kind am Kiddyboard alle zehn Meter in den Fuß kneifen, so dass es vielleicht doch noch fünf Schritte zu Fuß geht. Aber ich sehe ein, man darf die Kinder nicht überfordern. Schließlich sind ihre Beine und Füße noch ganz frisch. Wenn man die jetzt zu oft benutzt, werden sie zum Schluss schon vor der Zeit abgenutzt, und neue gibt’s keine. Die Kinder müssen sowieso immer so lange Wege zurücklegen, schon beim Aufstehen, vom Bett ins Esszimmer und dann noch ins Bad. Dann noch bis zum Auto und vom Auto bis in den Kindergarten. Wehe, wenn kein Parkplatz vor der Türe frei ist. Dann werden es zur Not noch zehn oder zwanzig Schritte mehr, Erwachsenenschritte natürlich. Für Kinder sind das dann ja noch viel mehr, so zwanzig bis vierzig, und dann geht das im Kindergarten erst recht weiter, mit dem Spielen. Dennoch kann sie niemand abhalten zu laufen, auch wenn das bestmögliche getan wird sie zu sitzenden Tätigkeiten zu bewegen, denn schließlich sollen sie ja aufs Leben vorbereitet werden. Deshalb wurde das Kiddyboard erfunden. Ob die Mütter den Kinderwagen wohl mitnehmen, wenn sie die Kinder in den Kindergarten bringen, nur damit sie das Kiddyboard daran befestigen können, um den armen, kleinen, geschundenen Kinderfüßchen den langen Weg vom Auto bis zum Kindergarten zu ersparen? Verantwortungsvolle Mütter tun das ganz bestimmt.

Aus: Alles ganz normal. Geschichten aus dem Leben

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