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Life is too short for boring stories

Wir kommen also am Spielplatz an. Eigentlich erwarte ich, dass sich die große Tochter meiner Freundin sofort ins Geschehen wirft, denn es sind bereits zehn Kinder am Spielplatz, so dass reiche Auswahl an Mitspielgelegenheiten besteht. Doch diese hüpft vom Kiddyboard und setzt sich auf die nächstbeste Bank.

„Schätzchen, Mama würde sich lieber auf die Bank dort drüben setzen, weil da ein Tisch dabei ist und dann könnten Deine Mama und ihre Freundin sich in Ruhe unterhalten und jausnen, während Du schön spielen gehst. Wäre das für Dich in Ordnung?“, fragt meine Freundin ihre Tochter. Ich reibe mir die Augen, weil ich denke, schlecht gehört zu haben, aber es ist wirklich wahr, obwohl mir natürlich der kooperative Stil auffällt, nur die Tochter berührt er nicht im Geringsten.

„Nein“, ist ihre wenig kooperative, und zugleich knappe, prägnante Antwort, „Will nicht. Saft.“ Jetzt wandert mein Blick zwischen meiner Freundin und ihrer Tochter hin und her. Ich spüre ein Knistern, das in der Luft liegt und erwartet ein Feuer. Wie wird sie reagieren? Kann sie das einfach so hinnehmen oder macht sie das was sie eigentlich will? Da bemerke ich, dass nicht nur ich die Szene beobachte und auf ihren Ausgang so gespannt bin, wie ich es zuletzt bei Miss Marples Enthüllungen am Ende von „Tod im Pfarrhaus“ war, nein, sämtliche Mütter, die sich bereits vor uns auf dem Spielplatz eingefunden haben, sind ebenso ergriffen wie ich. Vielleicht sollte ich Agatha Christie promoten. Dann würden sie es gleich viel weniger spannend finden, was hier abläuft.

Würde sie nachgeben, sich auf die Bank setzen, die ihre Tochter präferiert und damit zugeben, dass sie sich ihrem Diktat unterwirft? Oder würde sie sich auf die von ihr präferierte Bank setzen, trotz des Widerspruchs? Meine Freundin überlegt fieberhaft, wohl auch deshalb, weil sie abzuschätzen weiß, wie ihre Tochter in solchen Fällen der gegenseitigen Machtdemonstration und dem Zuwiderhandeln ihres Willens zu reagieren pflegt. Das Knistern wird zu einem Brand. Die Tochter fixiert die Mutter herausfordernd, und die Mutter, die steht auch so gar nicht unter sozialem Druck. Niemand sagt ein Wort, doch die Erwartungshaltung steht mit durchsichtigen Lettern in der Luft geschrieben.

„Setz Dich durch, denn sonst wird sie Dir für den Rest Deines Lebens auf der Nase herumtanzen“, schreiben die einen, während die anderen schreiben würden: „Ach tu ihr doch den Gefallen. Du bist weise und abgeklärt und weißt, dass es keine Rolle spielt ob ihr nun da oder dort sitzt.“

Vielleicht überschlägt sie auch in aller Eile all die tollen Erziehungsratgeber, die sie während der letzten Jahre regelrecht verschlungen hatte, doch diese sind sich ebenso wenig einig, wie die anderen Mütter hier am Spielplatz. Meine Freundin tut letztendlich Folgendes. Sie stellt den gewaltigen Wickelrucksack ab, kramt eine Weile darin herum, um dann eine Flasche mit Saft zu Tage zu fördern. Die drückt sie ihrer Tochter in die Hand, schultert ihr Gepäck und weist mich mit einem leichten Kopfnicken an auf der anderen Bank, der von ihr präferierten, Platz zu nehmen. Das Knistern ist aus der Luft verschwunden, und hat einem anerkennenden Raunen Platz gemacht. Eine bravouröse Lösung dieser verfahrenen Situation. Dennoch werfe ich einen letzten, sorgenvollen Blick auf das Mädchen, das genüsslich seinen Saft trinkt und dann aufspringt um spielen zu gehen, die leere Flasche mit aller Selbstverständlichkeit fallen lassend. Nein, sie tut es nicht unabsichtlich oder gedankenverloren oder weil sie schon näher beim Spiel als beim Trinken ist, nein sie tat es mit unübersehbarer Genugtuung.

Ich für meinen Teil weiß, dass ich noch ein wenig länger darüber nachdenken würde ob ich meinen Bauch zur Aufrechterhaltung oder gar Steigerung der Bevölkerungszahl unserer Nation zur Verfügung stellen würde. Nicht, dass ich mich unwohl fühle, dort am Spielplatz, ganz im Gegenteil, ich fühle mich sogar sehr wohl, quasi pudelwohl. Ich spiele mit den Kindern, tratsche mit meiner Freundin, denn ich weiß, dass ich mich heute Abend erholen können würde.

Aus: Alles ganz normal. Geschichten aus dem Leben

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