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Life is too short for boring stories

Ich gehe aus dem Haus, aus den verschiedensten Gründen. Unter anderem wohl auch um zu sehen, wie sich die anderen Leute so mit dem Leben tun, wenn sie das Haus verlassen und öffentlichen Raum betreten und auch immer ein Stück davon in Beschlag nehmen. Natürlich, denn der Mensch hat ja quasi eine dreidimensionale Ausdehnung, sprich in der Länge, der Breite und der Höhe, wobei die Proportionen der einzelnen Größen sehr stark variieren können, und je nach diesen Proportionen beanspruchen sie Raum, den sie auch, ohne viel Aufhebens zu machen, einfach einnehmen. Folglich gibt es Menschen, die mehr und welche, die weniger Raum in Anspruch nehmen. Dies ist allerdings nicht nur davon abhängig wieviel Umfang sie selbst haben, sondern was alles sie mitzunehmen sich genötigt sehen.

Nehmen wir einmal eine Mutter, sagen wir mal mit zwei Kindern. Vorne schiebt sie den Kinderwagen und dazwischen, zwischen ihr und dem Kleinen, der je nach Alter liegt oder sitzt, steht das zweite Kind am Kiddyboard. So ein Kiddyboard ist wirklich eine interessante Erfindung. Ich wurde, wie wohl so viele, auch über Umwege damit vertraut gemacht. Eines Tages war ich bei der Zurüstung der Kinder meiner Freundin live dabei, und das ist wahrhaft eine Aufgabe, selbst dann, wenn nicht eines der beiden meint, gerade in dem Moment doch nirgends wohin gehen zu wollen. Man kommt sich vor wie in einem Perpetuum mobile. Ist der erste Schuh angezogen, und müht sich die Mutter mit dem zweiten, wird inzwischen vom Kind der erste wieder ausgezogen, so dass aus dem ersten wieder der zweite wird, und so weiter, bis irgendeine rettende Idee kommt, die nicht immer pädagogisch wertvoll ist.
„Was, Du lässt Dein Kind naschen?“, brennt mir die Frage auf der Zunge, die Frage, die alles zum Erlahmen bringt und jede halbwegs gebildete Mutter frösteln lässt, als würde sie die Erbsünde erneut begehen.
„Ja, verdammt, schau nicht so“, sagt sie, wenig pädagogisch einfühlsam der guten Freundin gegenüber, „Sie bekommt jetzt den Schlecker, sonst ist es dunkel draußen bevor wir aus dem Haus kommen, und ja, es ist Erpressung. Aber wenn Du eine bessere Idee hast, dort oben in den wolkigen Sphären einer aufgeklärten modernen Erziehungstheorie, dann schreib mir eine Karte.“

Ich wollte schon Stift und Zettel holen, als mir auffiel, nein, ich hatte keine bessere Idee, aber das braucht halt alles seine Zeit, und jetzt wollen wir los.

Der Kleine sitzt also reisefertig im Kinderwagen, die Große steht daneben, für mindestens zwei Minuten bereits anstandslos die Schuhe anbehaltend. Ich muss insgeheim eingestehen, pädagogisch nicht sehr wertvoll, aber durchaus effizient, die „mit dem Lolly das Maul stopf“-Nummer. Eigentlich denke ich, so wir haben alles und sind fertig, als meine Freundin plötzlich das mit dem Kiddyboard sagt, und in meinem Kopf entstehen die wildesten Bilder, wie so oft, wenn man von nichts eine Ahnung hat. Dennoch ist wohl kaum jemand davor gefeit Parallelen zu Dingen zu ziehen, die man kennt. Also mir fallen in Zusammenhang mit Board nur Snowboard, Skateboard und Waveboard ein, so auf die Schnelle, zwischen zwei Kindern, von denen das eine inzwischen den Lolly verdrückt hat und lauthals fordert, dass nun endlich gegangen werde, denn sie warte schon so lange. Der Kleine hat sich mittlerweile bemüßigt gefühlt seinen Schnuller auszuspucken und schreit nun aus Leibeskräften. Also hebe ich ihn auf, während ich denke, Snowboard ist ein Schneebrett, ein Skateboard ist ein Rollbrett und ein Waveboard ein Wellenbrett – und in meinem Geist sehe ich ein Kind mit Rollen am Bauch, hoffentlich, denn über den Asphalt tut das sonst nicht gut, eben ein Kiddyboard.

Dann kommt sie an und montiert ein kleines Brett am Kinderwagen, aber auch mit Rollen drunter.
„Da gibt es mittlerweile schon viel coolere“, sagt sie mit tiefem Bedauern in der Stimme, „Solche, auf denen die Kinder auch sitzen können. Das Stehen ist ja doch ziemlich beschwerlich.“
„Aha“, sage ich bloß, „Und das machst Du dran, dass das arme Kind nicht gehen muss?“ „Aber nein, natürlich nicht. Weißt Du, meine Kleine, die geht ja so gerne, stundenlang am liebsten, aber wie halt Kinder nun mal so sind, sie übernimmt sich dann und schafft den Weg nicht mehr zurück. Dann kann sie sich zumindest auf das Kiddyboard stellen, bevor sie vor Erschöpfung zusammenbricht“, erklärt mir meine Freundin ernsthaft, und ich bin zutiefst betroffen von so viel Einsatz und Engagement, von so viel Lebensfreude und Bewegungslust. Der Kinderwagen hat es noch nicht einmal bis vor das Gartentor geschafft, da steht dieser Ausbund an Bewegungsfreude bereits auf diesem Kiddyboard, bereit geschoben zu werden. Wirklich beeindruckend.

Aus: Alles ganz normal. Geschichten aus dem Leben

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