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Life is too short for boring stories

Es gibt Gedanken, die würde man sehr gerne wieder los werden, so wie jene an all die Morde, die tagtäglich begangen werden. 100.000.000.000 Lebewesen fallen uns jedes Jahr zum Opfer. Eine unvorstellbare Anzahl an Lebewesen, die leben könnten. Gezüchtet, nur um ermordet zu werden. Für unseren Genuss. Für unser Amüsement. Für unsere Zwecke. Und keiner dieser Gründe ist ein tatsächlich zwingender. Aber man kann hinter einmal gedachte Gedanken nicht mehr zurück, so wie man hinter einmal Erlebtes nicht mehr zurückkann. Unwillkürlich zog Martinique Christians Arme noch enger um sich, als hätte sie Angst, dass sie sonst verloren gehen müsste, in diesem neuen Tag, der sie aufforderte wach zu sein. Auch aufmerksam. Sacht küsste er sie auf die Stirn. Es tat gut, dass er da war.

„Ich träumte, ich wäre eine Meerjungfrau, eine neugierige, abenteuerlustige Meerjungfrau“, begann Martinique zu erzählen.

„Also alles wie im wirklichen Leben, nur mit Fischschwanz“, warf Christian ein, aber Martinique ignorierte es geflissentlich.

„Der ganze Ozean war mein Spielplatz. Die meisten Meerjungfrauen und -männer hielten sich in bekannten, nicht allzu tiefen Regionen auf. Aber ich wollte die Tiefe entdecken, mit all ihren Facetten. Ich war überzeugt davon, dass es da ganz tief unten, wo niemals die Sonne hinkommt, besonders aufregend sein musste, und so schwamm ich immer tiefer und tiefer“, fuhr Martinique fort zu erzählen, „Es wurde auch immer dunkler und dunkler, so dass ich innehielt, um meine Augen an das Zwielicht zu gewöhnen, als ich mich plötzlich sanft berührt fühlte. Im ersten Moment zuckte ich zusammen, doch auch wenn ich nicht erkennen konnte was mich berührte, so war ich mir sicher, dass es eine wohlwollende Berührung war. Sanft und zärtlich. Ich hatte keinen Grund mich zu erschrecken. Also hielt ich still. Weiche, lange Tentakeln umwanden meine Arme, meinen Schwanz. Saugnäpfe vereinnahmten meine Haut, schmeckten sie um mich zu sehen. Zweifellos handelte es sich um einen Oktopus, einen weiblichen Oktopus. Endlich zeigte sie auch ihren Kopf. Er war ungefähr so groß wie eine Melone, sanft geschwungen und braun gesprenkelt. Große, klare Augen sahen mich an. Sie war völlig entspannt und ich spürte die Nähe in der Begegnung. So verschieden wir auch sein mochten, es war mir, als würden wir in einer innigen, vertrauten Kommunikation stehen. Es war nicht notwendig etwas zu sagen. Sie schmeckte meine Empathie, so wie ich die ihre sah. Feinfühlige Wesen, die uns so fremd scheinen und von denen wir meinen, dass sie deshalb schreckenerregend sein müssen. Schade für jeden, der solch eine Begegnung noch nicht gehabt hat.

 

Wir halten sie für dumm, weil wir so wenig wissen, weil wir nicht bereit sind uns auf die Begegnung in einer Weise einzulassen, die beiden gerecht wird, ohne Vorbehalte, ohne Vorurteile, einfach geschehen lassen. So wie wir es auch bei unserer eigenen Spezies tun sollten, und doch so oft unterlassen. Dabei sind Oktopoden unglaublich multitaskingfähig. Sie koordinieren ihre Arme. Dreißig bis fünfzig verschiedene Muster können sie annehmen. Innerhalb von sieben zehntel Sekunden die Farbe, das Muster und die Textur ändern. Sie lernen, denken, entscheiden und erinnern sich, wobei zur gleichen Zeit eine wahre Flut an Geschmacks- und Tastinformationen auf sie einstürzt. Dazu kommen noch die visuellen Reize, die ihre gut entwickelten, den unseren sehr ähnlichen, Augen liefern. Im Gegensatz dazu können sie beide Augen unabhängig voneinander bewegen. Wie ein Chamäleon. Sie können auch mit der Haut sehen, denn darin wurden Gensequenzen entdeckt, die sich üblicherweise nur in der Netzhaut ausbilden. Spannend sind auch ihre Siphonen. Damit drücken sie Wasser hinaus. Eigentlich dienen sie der Fortbewegung und der Atmung, aber sie werden auch dazu benutzt etwas wegzuspülen oder um zu spielen. Und jetzt war ich da in inniger Begegnung mit solch einem beeindruckenden Wesen. Unwillkürlich streckte ich die Hand aus, langsam, um ihren Kopf zu streicheln. Ganz still hielt sie und ließ es geschehen. Wie Samt fühlte sich ihre Haut an, weich und angenehm. Ich weiß nicht wie lange wir so verharrten und ohne Worte zueinander sprachen, als wir plötzlich rüde unterbrochen wurden und sich die Oktopusdame rasch in ihre Höhle zurückzog.“

„Was war passiert?“, zeigte sich Christian interessiert.

„Du warst passiert!“, antwortete Martinique mit gespieltem Ärger, „Du warst ein recht ansehnlicher Meerjungmann und kamst eilends auf mich zu geschwommen. Du schwafeltest etwas davon, dass Du mich jetzt endlich gefunden hättest und Du mich ewig gesucht hättest und ich doch verdammt nochmal nicht so unvernünftig sein solle, denn da unten sei es so gefährlich, und dass Du den Auftrag hättest mich so schnell wie möglich zurückzuholen. Deshalb fasstest Du mich grob am Armgelenk und wolltest mich schon mit Dir mitziehen, als es mir doch noch gelang mich Deinem Griff zu entwinden und wegzuschwimmen. ‚Fang mich doch, wenn Du kannst!‘, war meine Aufforderung. Und Du musstest mir wohl oder übel hinterher schwimmen, da Du ja einen Auftrag hattest. ‚Na warte, Du kleines Biest!‘, sagtest Du noch, als Du die Verfolgung aufnahmst. Für mich war es ein Spiel. Endlich war was los da herunten, und ich schwamm fort und fort, immer tiefer und tiefer. Du warst mir dicht an der Schwanzspitze. Da fühlte ich plötzlich etwas, das mich hielt. Ich konnte nicht weiterschwimmen. Es war einfach überall.“

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