Ansonsten verliefen diese Wochen für Nana, Anima, Darcy und Donal in Ruhe und Frieden. Darcy und Donal verbrachten ihre Tage auf der Weide. Ab und an besuchte Anima die Freund*innen, legte sich in der Sonne ins Gras und genoss die Wärme, vor allem, wenn Nana rasch in den Ort ging, um ein paar Besorgungen zu machen. Sie achtete darauf, so kurz wie möglich wegzubleiben, denn sie wollte ihre Hündin nicht allzu lange alleine lassen. Dazwischen gingen sie spazieren, den Weg zu den Klippen, den Klippenweg entlang, bis Anima anzeigte, dass sie wieder nach Hause wollte. Den Rest der Zeit arbeitete Nana, während Anima bei ihr kuschelte. Nach vier Wochen, viel früher als gedacht, konnte Nana ihr Projekt abschließen.
Es war bereits spät in der Nacht, als sie ihren Laptop wegstellte und Anima ihren Kopf auf ihren Bauch legte. Zufrieden mit ihrer Leistung war sie, ja, aber auch innerlich leer, wie sie sich immer fühlte, wenn etwas abgeschlossen und noch nichts Neues in Sicht war. Monatelang hatte sie sich auf dieses eine Werk konzentriert, hatte es sie begleitet, bei allem was sie tat und plötzlich gab es nichts mehr weiterzudenken. Diese Leere der Abgeschlossenheit befiel sie diesmal mit besonderer Heftigkeit. Eigentlich hatte Nana einstmals gedacht, es würde leichter, sie würde sich daran gewöhnen, aber das Gegenteil war der Fall. Und doch war sie auch glücklich, glücklich ihre Hündin neben sich zu haben, die durch ihre stille, dankbare Anwesenheit so viel Freude in ihr Leben brachte. Irgendwann, während Nana Anima streichelte, musste sie wohl eingeschlafen sein. Als sie die ersten Sonnenstrahlen aus dem Schlaf rissen, lag ihre Hand immer noch am weichen Fell der Hündin, doch irgendetwas war anders. Endlich wurde es Nana klar, der Brustkorb hob und senkte sich nicht mehr. Anima hatte aufgehört zu atmen, ihr Herz hatte das Schlagen eingestellt. Doch ihr Körper fühlte sich immer noch warm an, dennoch konnte Nana es nicht verleugnen, nicht wegdenken, dass Anima in dieser Nacht gestorben war. Und Nana spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen. Auch, wenn sie sich im Klaren darüber war, dass ihre gemeinsame Zeit begrenzt war, nur allzu begrenzt, kam es ihr so unwirklich vor. Lange saß sie da und weinte. Endlich raffte sie sich auf, ging hinters Haus und hob ein Loch aus, während ihr die Esel neugierig zusahen. Dann packte sie Anima in ihre Lieblingsdecke, trug sie hinters Haus, wo sich auch ihre Eselfreund*innen von ihr verabschieden konnten, um ihre Hundegefährtin still und leise zu begraben.
Nana wusste nicht, wie lange sie neben dem Grab von Anima gesessen hatte, denn die Zeit schien plötzlich völlig unwirklich zu sein. Nana wusste nur, da war nun keine Hundefreundin mehr, die sich zu ihr kuschelte, die einfach da war, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres auf der Welt. Als es bereits wieder zu dämmern begann, raffte Nana sich endlich auf und ging hinunter in den Ort, um im dortigen Pub einzukehren. Nicht, dass sie glaubte, sie könne sich ihren Kummer wegtrinken, aber sie musste unter Menschen, um nicht durchzudrehen, um nicht unter der Last der Trauer und des Schmerzes zusammenzubrechen. Wenige Minuten später stand sie in der einladenden Gaststube. In der Musikerecke spielte eine kleine Band muntere irische Folksongs und die Gäste unterhielten sich lautstark. Immer wieder drang ein Lachen an ihr Ohr, während sie dachte, dass sie wohl nie wieder lachen würde. Schnurstracks begab sie sich zur Bar und bestellte sich einen doppelten Whiskey, von dem sie sofort einen großen Schluck nahm. Brennend rann ihr das Destillat die Kehle hinunter und erfüllte sie mit einer angenehmen Wärme. Kurz darauf bestellte sie den zweiten, mit dem sie sich ein wenig mehr Zeit ließ.
„Hallo Nana“, vernahm sie plötzlich eine wohlvertraute Stimme hinter sich. Ruckartig drehte sie sich um und glaubte, ihren Augen nicht zu trauen. „Bo, was willst Du hier? Kannst Du mich denn nirgends in Ruhe lassen?“ „Du bist wirklich der herzloseste Mensch auf der Welt“, meinte der Angesprochene. „Dann verschwinde doch einfach, wenn ich so schrecklich bin“, meinte Nana nur. „Lassen wir das. Ich dachte nur, jetzt, wo Deine Hündin tot ist, könntest Du einen Freund gebrauchen“, versuchte er einen Anlauf, sie zu erreichen. „Weißt Du eigentlich, wie widerlich Du bist“, sagte Nana, voller Wut und Abscheu, „Ja, einen Freund, aber nicht jemanden, der sich an meinem Unglück weidet und es ausnutzt, um mich wieder ins Bett zu kriegen. Geh einfach, geh einfach ganz weit weg.“ Nana hatte Mühe die Tränen zurückzuhalten, doch Bo ließ nicht locker, als sie plötzlich eine tiefe, unbekannte Stimme vernahm: „Sehe ich das richtig, dass der Herr Dich belästigt?“
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