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Life is too short for boring stories

Nyx sitzt auf ihrem Steg am See direkt vor der Burg, in die sie sich vor langer Zeit zurückgezogen hat und denkt nach. Ihr langes schwarzes Haar flattert sanft im Wind. Die Luft ist lau und anschmiegsam. Doch sie bemerkt es nicht, denn sie ist in diesen Gedanken versunken, in etwas, das sie nicht versteht. Sie sucht und sucht nach etwas, was sie vergessen hat oder einen Fehler, den sie gemacht hat. Denn sie gehört zu den Menschen, die prinzipiell davon ausgehen, dass sie den Fehler begangen haben, und nicht die anderen, irgendwer. Und wenn es doch der andere war, so haben sie ihn einfach nur nicht davon abgehalten. Dabei hatte alles so wunderbar begonnen. Nyx hatte nichts weiter gemacht als eine Geschichte erzählt, eine Geschichte rund um Sehnsucht und Liebe. Postwendend war ein Kommentar gekommen. Darüber freute sie sich, denn dieser Kommentar ging auf ihre Geschichte ein, spann sie fort und endete mit den Worten:

„Du hast mir in die Seele geblickt und unsere Geschichte erzählt.“

Ja, sie hatte eine Geschichte erzählt, die sie „unsere“ nennen konnte, doch das war eine zwischen ihr und einer Vertrauten, die sie nicht namentlich erwähnte. Aber vielleicht meinte der Kommentator seine Geschichte, die er „unsere“ nannte, seine eigene Geschichte, die er in ihrer wiederfand. Das kam vor, denn Geschichten rund um Sehnsucht und Liebe sind sich in so vielem ähnlich. Genau das musste es sein. Nyx entschied sich für diese Interpretationsmöglichkeit und antwortete entsprechend, denn sie kannte ihn nicht.

„Das freut mich sehr, dass Du Dich darin wiederfindest.“

Nyx war es sich zufrieden, denn sie war überzeugt davon, sie hatte es richtig verstanden, doch diese Selbstzufriedenheit über das Verstehen hielt nicht lange an, eigentlich nur bis zum nächsten Kommentar.

„Natürlich finde ich mich darin wieder, Du Dummerchen, denn es ist ja unsere Geschichte, Deine und meine. Du kannst Dich hinter welchem Pseudonym auch immer verstecken, ich werde Dich immer erkennen, denn Dein Erzählen ist einzigartig.“

Nyx war schockiert. Was war nur passiert? Was hatte sie getan? Nein, das konnte nur eine Verwechslung sein, doch er klang so überzeugend. Vielleicht stimmte es ja, dass es dort draußen jemanden gab, die ihr ähnlich war, aber so sehr.  Dennoch versuchte sie es nochmals, wollte sie doch keine falschen Hoffnungen wecken.

„Ich bin nicht die, für die Du mich hältst. Es tut mir leid.“

Damit müsste das Missverständnis doch endlich aus der Welt sein, dachte sie zumindest, doch er setzte noch einen drauf.

„Das Herz irrt nicht. Es ist mir schon klar warum Du Dich versteckst, denn Du fürchtest unsere Feinde, die uns verfolgen von Anbeginn an, und Du fürchtest sie, weil Du um mich bangst. Doch Du musst keine Sorge haben. Ich habe sie alle besiegt, und ich kann mich nun unbehelligt auf den Weg zu Dir machen. Zuerst dachte ich, Du liebtest mich nicht mehr, bis mir klar wurde, dass Du all diese Vorsichtsmaßnahmen nur um meinetwillen vornimmst, doch es ist alles geregelt, denn ich habe viel mächtigere Freunde als ich Feinde habe. Also sorge Dich nicht, und komm zu dem Ort, an dem wir uns zum ersten Mal trafen, dort am Wasser in unserer Stadt, die wir nun zurückgewonnen haben. Du, meine Liebste, alles hast Du nur für mich getan. Jetzt werde ich für Dich da sein.“

Und nun sitzt sie am Steg und weiß nicht weiter. Es ist ihr, als wäre sie in eine fremde Welt, in ein fremdes Miteinander eingebrochen, oder besser gesagt, eingebrochen worden, und nun findet sie keinen Weg heraus. Warum ist es so schwer verstanden zu werden? Doch dann schreibt sie das einzige, was sie noch schreiben kann:

„Ich bin nicht sie. Ich wünschte, Du würdest sie finden, aber ich bin es nicht.“

Damit würde nun endlich alles klar sein, alles Missverständnisse endgültig beseitigt, denkt Nyx, als sie aufsteht um ins Bett zu gehen.

Lesestoff für Liebhaber*innen von Mystischem und Skurrilem

Schattenraben

Anonym

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