„So ist der Mensch nun mal: er schimpft auf seinen Schuh, und dabei hat sein Fuß schuld.“, schreibt Samuel Beckett zurecht in seinem grandiosen Stück „Warten auf Godot“. Grandios oder zu ewiger Aktualität verdammt. Wie man es nimmt. Obiges Zitat wird allerdings trotz allem zu wenig gewürdigt. Dafür werden Schüler, die den Scharfsinn, die Ironie und den Humor noch nicht begreifen können, damit gequält. Jeder kennt es, keiner liest es. Das ist die Schmach der Schulpolitik. Hierzulande. Ich rede immer von hierzulande. Man soll von dem sprechen, was man kennt. Deshalb konnte auch Samuel Beckett, attribuiert und wohl auch konstituiert als Mann, so nahe Bekanntschaft habe ich mit ihm nie geschlossen, die ganze Tragweite eines Fuß und Fußbekleidungsdilemmas nicht erfassen. Ich gehe einmal kurzerhand, ohne – zugegebenermaßen – empirische Beweise dafür vorliegen zu haben, davon aus, dass er Socken und Schuhe trug. Nicht jedoch Strümpfe. Hätte er es getan, so hätte er ein ganz anderes, ja umfassendes politisches Statement darin gefunden, mit all seinen Anhängseln.
Am Anbeginn der bestrumpften Beine standen die Strümpfe, die mit Strumpfbandgürtel, wahlweise mit Korsage mit den dafür notwendigen Anhängevorrichtigen ausgestattet, zu tragen waren. Das war und ist eine ziemlich aufwendige Bekleidungsvariante, was die moderne Frau nicht brauchen kann. Die Strumpfwarenindustrie trug dem Rechnung und erfand die Strümpfe, die keiner Halterungen mehr bedurften – die sog. Halterlosen, aber auch die Strumpfhosen, die, wie der Name schon sagt, wie eine Hose zu tragen sind und das Popotschi schön wärmen. Einpacken, wegpacken, verstecken und verbergen. Eine weitere Form Frauen zu schließen und abzudichten. Aber das nur nebenbei. Wer es versteht, versteht es. Wenn ich nun die Strumpfhosen und die halterlosen Strümpfe, die einen als Symbol der Infantilisierung, die anderen als solches der Entwürdigung der Sinnlichkeit in die Hektik der modernen Zeit, aus meinem Bekleidungsrepertoire verbanne und wieder Strümpfe trage, die eines Strumpfbandgürtels zwecks notwendiger Befestigung bedürfen, so ist dies durchaus als feministisches und damit als politisches Statement zu werten. Das erklärt auch das Dilemma.
„So ist der Mensch nun mal: er schimpft auf seinen Strumpf, und dabei hat sein Bein schuld.“, könnte man persiflierend bemerken. Das einzupackende Bein erweist sich als kratzbürstig und die Nägel an den Füßen als zu rau für die zarten Verflechtungen der textilen Strukturen. Fein verwoben, Einrichtungen, Verbindungen, jeweils in rot und schwarz. Später erweitert durch blau, grün und pink. Alles hängt mit allem zusammen, und wird ein Faden vom anderen getrennt, löst sich die ganze Struktur auf. Was natürlich keiner will. Deshalb wird der widerspenstige Teil des Beines, des Fußes zurechtgestutzt. Wenn sein muss mit exekutiver und jurisdikativer Gewalt. Ordnung muss sein. Der Rest, fügt sich dann eh von selbst. Dann wird der Strumpf über das Bein gezogen, nochmals geprüft ob er richtig sitzt. Was für eine schöne, bunte Mischung. Nur das Grün schlägt sich neuerdings mit den anderen und wird herausgezogen. Der Stachel im Fleisch, der müde und mürbe geworden ist. Er war gar nicht mehr zu spüren. Ganz leicht löst er sich, als würde er abgestoßen werden vom Erhaltungs- und Konservierungswillen. Wenn nun der Strumpf sitzt, wird darangegangen die Halterungen anzulegen, einer nach dem anderen. Am einfachsten ist der Schwarze, der sich allerdings umbesonnen hat und mehr zur Geltung kommen wollte. Deshalb hat er sich in Türkis gewandelt, was allerdings nur eine äußere Kosmetikmaßnahme darstellt, aber im Konglomerat mit Restaurierungswillen und biedermeierlicher Attitüde ausgezeichnet zur Geltung kommt. Als nächstes kommt der rote Halter, links hinten neben der Pobacke, der sich ein wenig verkürzt hat und kaum noch die Verbindung zum Strumpf findet. Bisher machten sie sich gut miteinander am linken Bein. Durchhalteparolen und Nostalgie auf beiden Seiten, hinten wie vorne. Das Halterungen am zweiten Bein gehören etwas mehr gezähmt. Blau und Pink, das passt zwar farbmäßig, und auch der Strumpf hat seine Freude, aber sie wollen so weit wie möglich voneinander weg. Und während sich meine Hände immer mehr verheddern, die Verbindung sich selbständig macht, als wollte sie nie mehr getrennt werden, schleicht sich unmerklich ein andersfarbiger Faden parasitär in das Geflecht ein und breitet sich langsam aus. Goldglänzend und verheißungsvoll. Er kann in Ruhe die Strukturen unterwandern, denn die die Halter haben sich nun hoffnungslos verheddert, selbstbezogen, und vergessen, dass es ihre Aufgabe ist das Bein zu kleiden. Aber wen interessiert das Bein. Das soll sich in fünf Jahren wieder melden. Vielleicht.
