Es gibt den Schmerz, dem man einen Namen geben kann. Zum einen ist es der handfeste, körperliche Schmerz. Da kann ich dann mit dem Finger darauf weisen und mein Weisen noch mit den Worten bekräftigen, „Da sitzt er, der Schmerz!“ Das ist sehr praktisch, denn man selbst weiß genau was los ist. Die anderen, denen man von dem Schmerz erzählt, können aufatmen, denn da kann man was machen. Diverse gute Ratschläge werden erteilt, und dann geht man wieder, froh, seinen Teil zur Genesung beigetragen zu haben. Was ist man doch für ein guter Mensch. Zum anderen ist es der vielleicht weniger handfeste, jedoch ebenso an äußeren Umständen festzumachende Schmerz. Eine Beziehung geht in die Brüche oder man fällt durch eine Prüfung. Man verliert den Arbeitsplatz oder die goldene Uhr, die man zur Firmung bekam, wenn es das noch gibt. Auch da kann man sich sicher sein von wohlmeinenden Unterstützungserklärungen erdrückt zu werden. Nützt zwar zumeist nichts. Schadet aber angeblich auch nicht.
Und dann gibt es den Schmerz, der keinen Namen hat. Er ist weder körperlich noch dinglich festmachbar, eben einer ohne Namen. Meistens kommt er aus dem Nichts, oder scheinbar aus diesem, denn in Wirklichkeit – und die ist nun mal eine physikalisch erklärbare – kommt nichts aus dem Nichts. Wahrscheinlich nicht einmal das Nichts selbst. Aber mein Fühlen schert sich weder um die Physik noch um die sogenannte Wirklichkeit. Aber es ist auch nur scheinbar so, denn eigentlich ist er immer da, will ich einmal ganz ehrlich zu mir sein, was ich in den seltensten Fällen bin. Der namenlose Schmerz sitzt in einer Ecke meines Lebenszentrums und harrt der Dinge, die da kommen mögen. Er hat es nicht eilig, weil er genau weiß, dass ich ihm nicht entkommen kann. Gut versteckt unter Sonnenschein und Heiterkeit, wartet er gelassen ab. Auch Geschäftigkeit und Zuversicht sind probate Mittel ihn zu ignorieren. Manchmal jedoch, wenn die Sonne untergegangen ist und die Heiterkeit einer verhängnisvollen Nüchternheit weicht, wenn die Geschäftigkeit zum Erliegen kommt, da ich zum Stillhalten verdammt bin und die Zuversicht von der Erschöpfung hinweggefegt wird, dann sitzt er offen und zugänglich da und grinst mich an.
Und mit einem Mal ist es mir, als wäre ich völlig leer, weil ich alles gegeben habe, was ich geben konnte. Keine Worte, keine Gesten, keine Taten, nichts, was diese Leere füllen könnte, und gleichzeitig ist diese Leere eingefasst von einer robusten, schalldichten Stahlwand. Es ist jener Moment, da ich mir zum wiederholten Male bewusstwerde, dass ich Dich nicht erreichen kann, nicht, da, wo es Not täte. So nahe Du mir auch immer sein magst, Du bleibst mir immer fremd, außerhalb und verloren. Ebenso wie ich Dir. Niemals können wir wirklich zusammenkommen. Immer wirst Du mir fernbleiben, so fern wie die nächste Galaxie. Dabei wünsche ich mir doch nichts mehr, als bei Dir zu sein, wenn ich bei Dir bin, Dir nahe zu sein, wenn ich Dir nahe bin. Es geht nicht. Ich komme nicht aus mir heraus, so wie Du nicht aus Dir. Ich finde den Weg nicht zu Dir, weil es keinen gibt. Die Einsamkeit, die nicht zu überbrücken ist, schnürt mir die Kehle zusammen und nimmt mir die Worte. Als wenn es welche gegeben hätte. Vielleicht könnte ich ihn den Schmerz der existentiellen Einsamkeit nennen, einer, der immer bleibt, einer, dem wir nicht entkommen können, weil er in uns verankert ist. Aber hieße ihm einen Namen zu geben nicht auch, dass ich ihm eine Berechtigung zuspreche?
Ich will es lassen. Stattdessen mache ich mich eifrig daran wieder Sonnenschein und Heiterkeit, Geschäftigkeit und Zuversicht zu sammeln, unter dem ich ihn verstecke. Aus den Augen, aus dem Sinn. Es wird funktionieren, wie schon so oft zuvor. Für eine Weile. Zumindest das. Durchatmen können. So tun als ob. Sich selbst belügen. Es macht nichts. Ich habe mich daran gewöhnt. Man muss schließlich auch gut zu sich selbst sein, nicht nur zu anderen. Es gilt durchzuhalten. Nur für eine Lebensspanne. Das ist durchaus machbar. Ich werde ihn nicht verlieren, den Schmerz. Er ist eine stehende Konstante. Vielleicht die einzige. Trotzdem soll er bleiben was er ist, ein namenloser Schmerz.
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Wow. Danke für diese ehrlichen Worte. Mein tief sitzender Schmerz, nein, meine tief verankerten Schmerzklumpen sind auch IMMER da. Sie haben deinen namenlosen Schmerz gerade deutlich spüren können und wollen ihm einen Gruß da lassen. Geht das? Vielleicht freut er sich ja, wenn dein Schmerz so was wie Freude empfinden kann?
Vielen Dank für Deine offenen, zugewandten Worte. Dieser namenlose Schmerz ist da, und treibt an sich einzusetzen gegen die Ursachen dieses Schmerzes. Und es ist vielleicht nicht unbedingt Freude, aber es stärkt, wenn man erfährt, dass es jemanden gibt, der diesen Schmerz versteht und ebenso trägt.