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Life is too short for boring stories

Die Gegebenheiten haben sich geändert. Zumindest in Westeuropa, seit den Tagen, da Frauen um ihr Recht kämpften als Menschen zu gelten. Die frisch geborene Erklärung der Menschenrechte war eine der Männerrechte. „Déclaration universelle des droits de l’homme“ hat es im Französischen geheißen, wobei das Wort „l’homme“ sowohl Mensch als auch Mann bedeutet. Menschen waren damals Männer, weiße, heterosexuelle Männer. Doch das ist lange vorüber. Niemand würde heutzutage mehr ernsthaft bestreiten, dass Frauen Menschen sind. Deshalb ist es auch selbstverständlich, dass Frauen wählen dürfen, die Ausbildung machen können, die sie selbst wählen, ohne Einschränkungen, oder über ihr Leben und sich selbst entscheiden. In den großen politischen und sozialen Fragen wurde die Gleichstellung, die Chancengleichheit, die Gerechtigkeit in den Möglichkeiten, erreicht. Es gibt keinen Raum mehr, den Frauen nicht betreten dürften. Alles steht ihnen offen. Es war ein langer Kampf, der viele Opfer forderte, doch er wurde ausgefochten und die Ziele erreicht. Nun könnten wir uns eigentlich wieder den Anforderungen des Lebens stellen und auf den Feminismus verzichten. Er hat ausgedient.

Warum, so fragen sich manche, können wir es nicht einfach gut sein lassen und uns anderen, wirklich wichtigen Fragen zuwenden? Ist es nicht so, dass – wenn es sonst nichts mehr für einen –ismus zu tun gibt – er sich künstlich Aufgabengebiete schafft, indem die Unterschiede nicht nur betont, sondern auch unnötig problematisiert werden? Und wer sich zu seiner Weiblichkeit bekennt und dennoch nicht auf „die“ Männer losgeht um irgendetwas auszumachen, was schlecht an ihnen ist – keine Sorge, es findet sich etwas, wenn man nur intensiv genug sucht -, dann ist man eine Antifeministin und eine Verräterin an der Sache. Sollte es tatsächlich nur darum gehen andere schlecht zu machen, um sich selbst besser dastehen zu lassen, wenn es das ist, was vom Feminismus übriggeblieben ist, die verzweifelte Suche nach „dem“ Unterschied, dann soll er ausgedient haben. Aber kann es das sein?

 

Es war ein Kampf, ein langer, schwieriger Kampf. Und wie jeder Kampf, forderte auch dieser Opfer, schlug er Wunden, in den Menschen und auch zwischen ihnen. Für eine Zeit war es notwendig, Gräben zu ziehen und sie zu verteidigen. Dem Anderssein zu seinem Recht zu verhelfen, es als anders anzuerkennen. Doch mittlerweile werden die Gräben, die nicht mehr notwendig sind, weitergegraben, weil wir eine Notwendigkeit suchen. Verzweifelt. Unverhohlen. Gräben, nicht nur zwischen den Männern und den Frauen – die es so gesehen gar nicht gibt, sondern auch zwischen Dir und mir, zwischen den Spezies und der Natur.

 

Will der Feminismus eine Berechtigung haben, in Westeuropa unter den gegebenen Bedingungen, dann jene, dass er endlich beginnt das Verbindende, das er bisher ignorierte, wenn nicht gar leugnete, herauszustellen, denn das, was uns verbindet, über alle Eigenheit und Verschiedenheit hinweg, ist das, was die Gräben zwischen uns wieder füllt. Ich kann Dich nicht erreichen, wenn ein Graben ist, zwischen Dir und mir. So wie Du mich nicht. So wie die Natur, der wir uns entfremdeten. So wie den Mitgeschöpfen, die wir nur mehr einteilen in verhätschelte, gequälte oder gefährliche. Es ist das Verbindende, das die Gräben füllen kann, so dass wir uns erreichen, Du und ich und unsere Mitgeschöpfe. Das Verbindende ist das Leben, dem unser aller Interesse gilt, das Leben zu führen und zu entfalten.

 

Ein Feminismus, der heute noch eine Berechtigung haben will, besinnt sich auf die Wurzeln des Seins und des Miteinanders, trägt dazu bei Gräben durch das Verbindende zu füllen und auszugleichen, Wunden zu heilen und sich mit dem Anderen auszusöhnen, denn wir alle sind Teil des Kreislaufes des Lebens, Kreislauf von gebären und sterben. Jeder hat seinen Teil daran und seinen Platz, der ihm zugestanden sein will, so wie mir selbst. Dort, wo er dieser Aufgabe nicht gerecht wird, ist er tatsächlich verzichtbar.

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