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Life is too short for boring stories

Angenehm war es dem Stoßverkehr entkommen zu sein. Seit sie später zu arbeiten begann, stand sie kaum noch im Stau. Dafür nahm sie es auch in Kauf, später nach Hause zu kommen. Was auch keine Rolle spielte, denn egal ob es sechs oder acht Uhr abends war, immer fand sie ihren Angetrauten vor dem Fernseher vor. Müde und abgespannt fühlte sie sich. Der Tag war anstrengend gewesen. Vielleicht hatte sie ja Glück und er wäre überhaupt schon im Bett. Seit die Kinder aus dem Haus waren und nicht mehr als Puffer dienten, war ihr Miteinander überaus anstrengend geworden. Dabei hatte sie sich das alles so schön ausgemalt, wieder Zeit für sich, miteinander, in Ruhe und Vertrautheit. Beides fanden sie nicht mehr. Es gab nichts mehr zu sagen. Irgendwo zwischen dem Anfang und dem Jetzt war das verloren gegangen. Oft genug hatte sie sich den Kopf zermartert wo das wohl geschehen war, bis sie sich letztendlich eingestehen musste, dass es wohl eine schleichende Entwicklung war.

Jedes Mal, wenn sie etwas auf später verschoben, war sie gewachsen, die Entfremdung und die Gleichgültigkeit. Jetzt wäre dieses Später, das sich aber wie ein zu spät anfühlte. Einfach ins Bett schlüpfen, die Augen zumachen und vergessen, das würde sie gerne machen. Erschöpft von einem halben Leben voller Verschiebungen und Vertröstungen. „Always on my mind“ spielte es im Radio. Sie drehte ab. Das brauchte sie nun wirklich nicht. Aber da war noch etwas, etwas, das sie nicht recht zu deuten wusste. Vor ein paar Monaten hatte ihr Mann wieder zu trainieren begonnen. Heimlich, so dachte er zumindest, aber wie sollte es ihr entgehen, wenn sie doch sein Trainingsgewand in der Wäsche fand. Beinahe hätte sie über seine Naivität gelacht, wenn es nicht zu ernst wäre. War da vielleicht eine andere Frau im Spiel? Sie kannte ihren Mann gut genug, dass sie mit Gewissheit sagen konnte, er machte das nicht ohne guten Grund. Und eigentlich konnte dieser gute Grund nur weiblich sein, auch weil sie sich nur allzu gut daran erinnerte, dass sie sich wohl nicht zu Letzt aufgrund seines durchtrainierten Körpers in ihn verliebt hatte, damals, vor so unendlich langer Zeit. Unwillkürlich lächelte sie, als sie an dieses Damals dachte. Er hatte so gut ausgesehen, so groß und stark, und wie er sie im Arm gehalten hatte. Energisch drehte sie den Motor und ihre nostalgischen Gedanken ab. Das war endgültig vorbei. Einen Moment blieb sie noch sitzen, bevor sie die Wagentüre öffnete. Sie konnte nicht entkommen. Es machte keinen Sinn es hinauszuzögern. Entschlossen öffnete sie die Wagentüre, stieg aus, balancierte sich ins Gleichgewicht, was nicht so einfach war, da sie sich erst wieder daran gewöhnen musste hochhackige Schuhe zu tragen. Vielleicht würde sie damit wieder aufhören. Er merkte es ja doch nicht, dabei hatte ihn das früher immer so gut gefallen. Aber das war früher, sehr viel früher. Wütend über sich selbst und ihre Unzulänglichkeit, die sie nun deutlich empfand, knallte sie die Türe zu. Da legte sich etwas Kaltes auf ihren Nacken. Unwillkürlich schrie sie auf, bevor sie in Ohnmacht fiel.

Er war nicht wirklich darauf vorbereitet, hatte wohl auch nicht damit gerechnet. Geistesgegenwärtig hatte sie mit dem einen Arm unter die Schultern gefasst und schob den anderen direkt über ihren Knien unter ihre Schenkel, so dass er sie hochheben konnte. Es machte sich bezahlt, dass er so fleißig trainiert hatte, denn so trug er sie mühelos die paar Schritte bis zur Haustüre, so mühelos, dass er bemerkte, wie sich der kurze Rock ein wenig nach oben geschoben hatte und sein Arm zwischen dem Abschluss der Strümpfe und dem Höschen auf nackter Haut zu liegen kam, die immer noch so warm und weich war wie am Anfang. Unwillkürlich erwachte der Wunsch in ihm mehr von ihr zu spüren. Nur noch wenige Schritte trennten ihn von der Erfüllung dieses Wunsches, die Stiegen bis zur Haustüre, die er vorsichtig schloss, über den Gang bis zu Schlafzimmer, in dem er sie vorsichtig aufs Bett legte. Kurz hielt er inne um sie einfach zu betrachten. Wie sie es nur geschafft hatte ihre Figur zu erhalten, so schlank und fragil wie sie war, trotz zweier Kinder, trotz ihm, fügte er für sich selbst hinzu. Das Röckchen war noch ein wenig weiter nach oben gerutscht, so dass er nun auch den Strumpfbandgürtel erkennen konnte, zumindest den Ansatz. Sie hatte sogar daran gedacht. Wie sehr er diese Art mochte dem weiblichen Bein erotische Geltung zu verschaffen. Natürlich verstand er auch, dass es umständlich war und sie dem Praktischen dem Vorzug gab. Ob sie ihn damit hatte überraschen wollen? Sacht strich er über das Stück Haut, das freilag, bevor er sich vorsichtig neben sie setzte und seine Hand über ihre Wange streichen ließ. Besorgt fragte er sich was er tun könne, dass sie wieder zu sich käme? Sollte er etwas tun oder würde das ganz von alleine passieren?

Unvermittelt schlug sie die Augen auf und fand sich im Dunklen im Bett wieder. Angestrengt versuchte sie sich zu erinnern wie sie hierhergekommen war. Schemenhaft nahm sie eine Gestalt neben sich wahr. Das musste ein Entführer sein. Ganz bestimmt war es ein Entführer, doch würde ein Entführer so sanft über ihre Wange streichen? Warme, sanfte Hände auf ihrer Haut, die ihr so vertraut waren, von denen sie gemeint hatte, sie würden sie nie wieder so berühren.

„Sag einmal, hast Du sie noch alle?“, fuhr sie plötzlich ihren Mann an, als sie sich im Klaren darüber war, was er getan hatte.
„Ich kann schon verstehen, dass Du wütend bist“, gab er kleinlaut zu, ohne mit Streicheln innezuhalten, „Aber das war auch ganz anders geplant.“
„Und wie bitte schön war es geplant gewesen?“, fragte sie forsch weiter, aber schon mit diesem leisen Unterton, der in Richtung Versöhnung wies.
„Mir ist eingefallen, dass ich Dich damals nicht über die Schwelle getragen habe, und Du bist jetzt wieder so weiblich, so wie damals, und ich wollte das nachholen. Ich dachte mir, ich überrasche Dich damit“, erwiderte er.
„Hast Du deshalb wieder zu trainieren begonnen?“, entfuhr es ihr unvermittelt.
„Ja, ich wollte es halt richtig machen und war mir nicht so sicher ob ich das schaffe“, meinte er nur, doch zu mehr kam er nicht mehr, denn da schlang sie die Arme um seinen Hals und küsste ihn wie schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Vielleicht wäre es doch noch möglich dieses gewisse Etwas wiederzufinden. Und da würden sie den einen oder anderen Mangel aushalten können.

Aus: Weibliche Ohn-machten

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