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Life is too short for boring stories

Sein Leben lang hatte er nichts Anderes gemacht als Plakate zu kleben. Immer eines über das andere, nach einer gewissen Zeit, in seinem Abschnitt. Dafür war er verantwortlich. Gewissenhaft erledigte er seine Arbeit. Tag für Tag. Woche für Woche. Monat für Monat. Jahr für Jahr. Er begann am Morgen bis er fertig war. Oftmals brauchte er länger als seine Kollegen. Weil er gewissenhaft arbeitete. Oder er wurde einfach alt und langsam. Es machte ihm nichts aus. Er machte was er zu machen hatte. Dann ging er nach Hause zu seiner Frau. Sie brachte ihm das Essen. Dann schlief er mit ihr. Wenn sie nicht mit ihm schlief trank er ein Bier. In den letzten Jahren hatte er mehr Bier getrunken. Es machte ihm nichts aus. Dann starb sie. Und es blieb ihm nur mehr das Bier. Es machte ihm nicht viel aus. Was sollen einem Tatsachen auch schon ausmachen? Manchmal holte er seinen Schwanz aus der Hose und masturbierte. Es war seine Art ihrer zu gedenken. Doch er merkte schnell, dass ihm das Bier lieber war. Und so blieb sein Schwanz wo er war. Seine Arbeit machte er gewissenhaft. Wie immer. Nie hatte es ein besonderes Vorkommnis gegeben.

Eines Tages klebte er ein Plakat, wie alle Tage sonst auch. Er trat ein paar Schritte zurück um es zu betrachten. Niemals hatte er das Plakat selbst angesehen, nur ob seine Arbeit auch perfekt war. Sie war es immer gewesen. Doch diesmal sah er sich das Plakat selbst an. Nicht einmal das Ganze, nur einen Teil davon. Es zeigte eine junge Frau. Ihr Blick war eigenartig. Kopfschüttelnd drehte er sich weg und ging. Er wollte sie lassen wo sie war. Es ging ihn nichts an. Er machte nur seine Arbeit. Das wollte er. Aber es war sein letzter Tag. Sein letzter Arbeitstag, und damit auch das letzte Mal, dass er von der Arbeit nach Hause ging und ein Bier trank.

 

Am nächsten Morgen erwachte er und wollte aufbrechen, wie immer. Dann fiel ihm ein, dass er keine Arbeit mehr hatte. Stattdessen ging er spazieren. Vor der Plakatwand mit der Frau, deren Blick ihn nicht losließ, blieb er stehen. Jeden Tag ging er nun zu der Plakatwand. Dann nach Hause um ein Bier zu trinken. Mehr gab es nicht zu tun. Das war jetzt seine Aufgabe. Eines Tages würde sie überklebt sein. Eines Tages war sie überklebt. Er sah das Werbeplakat mit den fröhlichen Menschen und den fröhlichen Gesichtern. Warum war ihr Blick so eigenartig gewesen? Umso öfter er es betrachtet hatte, desto trauriger erschien sie ihm. Er wunderte sich, dass das niemandem aufgefallen war, denn auf Werbeplakaten ist Traurigkeit verboten. Niemand kauft was, was traurig macht. Aber jetzt war sie überklebt mit Fröhlichkeit. Fröhlichkeit, die man kaufen kann. Doch ihr Blick bohrte sich durch das Plakat. Eine stumme Forderung sie freizugeben. Wie gelähmt war er. Und auch wenn er nicht mehr hinging, ihr Blick verfolgte ihn. Im Wachen. Im Schlafen. Immer und überall. Bis er nicht mehr widerstehen konnte und das Plakat der Fröhlichkeit so weit entfernte, dass man ihr Gesicht wieder so. Die Traurigkeit.

Es geht nicht, mit der Traurigkeit, die jetzt transparent wurde durch die fröhliche Umgebung. Es wurde überklebt. Und entfernt. Und überklebt. Und entfernt. Egal wie viele Schichten neuer Plakate aufgetragen wurden, egal wie viel Fröhlichkeit aufgekleistert wurde, er legte sie immer wieder frei, die Frau mit der Trauer im Blick. Er hatte keine andere Aufgabe mehr.

Aus: Lebensbilder

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