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Life is too short for boring stories

Die Protagonistin des Films gibt ihr Kind, das gerade mal sieben Jahre alt ist, bei der Nachbarin ab. „Schau mir doch mal ein bisschen auf das Kind“, wird sie ihr wohl gesagt haben. Dann ist sie weg. Sie kommt nicht mehr zurück, die Mutter des Kindes, nicht nach einiger Zeit, nicht in ein paar Stunden, nicht am nächsten Tag, gar nicht. Sie ist weggegangen, für immer. Das hat die Mutter gewusst, in dem Moment, in dem sie das Kind abgegeben hat, bei der unwissenden Nachbarin, die meinte, die Mutter würde bald wieder da sein. „Schau mir doch mal ein bisschen auf das Kind“, sagt man, wenn man kurz einkaufen oder sonst etwas zu erledigen hat, aber nicht, wenn man sich danach noch kurz nach Hause stiehlt, den bereits gepackten Koffer schnappt und weggeht, für immer. „Mami ist gleich wieder da“, hat sie wohl auch dem Kleinen noch gesagt, auch wenn sie wusste, dass es nicht der Fall ist. Das Kind vertraut. Die Mutter weiß es und geht trotzdem weg. Ohne ein Wort der Erklärung, vielmehr mit einer Lüge. Nur den Vater des Kindes hat sie nicht belogen, denn zu ihm hat sie tatsächlich nichts gesagt. Doch wie kam es dazu?

Es beginnt mit einer Hochzeit. Zwei Menschen geben sich das Ja-Wort. Man erkennt sofort das typische Mittelstandsmilieu in Amerika der 60er Jahre. Die glückliche Braut, die in das Einfamilienhaus mit Garten einzieht, mit ihrem Angetrauten. Das Haus und der Garten sind ihr Reich. Er begibt sich auf die Jagd. Pardon, ins Büro. Dann kommt das Kind. Sie kümmert sich, kocht, putzt, wäscht und mäht den Rasen. Sie sorgt sich um ihn. Dann auch um das Kind. Das Essen steht bereit, wenn er am Abend, nach einem langen Tag nach Hause kommt. So wie es sich gehört. Doch sie ist nicht zufrieden damit, wird von Tag zu Tag unglücklicher. Das Kind wächst heran und in ihr die Sehnsucht nach etwas anderem. Freiheit. Selbstverwirklichung. Deshalb geht sie, eines Tages, um dieses neue Leben ohne die Belastung von Mann und Kind. Es ist der Moment, an dem ich sage, halt, ich will das nicht weitersehen. Es widert mich an. Ein Freund, der sich mit mir den Film ansieht, ist konsterniert. Wieso ich denn der Frau nicht zugestehe, dass sie ihren Mann verlässt, dass sie sich selbst verwirklicht. Nun, es geht auch nicht darum, dass sie ihren Mann verlassen hat. Das wäre eine Sache zwischen zwei Erwachsenen gewesen und da ist es auch in Ordnung, aber das Kind, das sie zur Welt gebracht hat, das hat sie gewollt und damit die Verantwortung übernommen für dieses Kind da zu sein, eine Verpflichtung, die man ernstzunehmen hat, so lange das Kind die Mutter braucht. Umso hilfloser ein Lebewesen ist, für das ich Verantwortung übernehme, desto mehr bin ich gefordert, diese Verantwortung ernstzunehmen. Egal ob Menschen- oder Hundebaby. Diese Abhängigkeit, die ich mit meiner Entscheidung erst hervorbrachte, habe ich zu sehen und ihr zu entsprechen. Wer da einfach davongeht – und da ist es egal ob Mutter oder Vater, Hundehalter oder Hundehalterin – ist selbstsüchtig und egozentrisch. Einer Entscheidung, die ich getroffen habe, als vernünftiger, erwachsener Mensch, habe ich zu entsprechen. Über den Kopf von Abhängigen und Hilflosen hinweg zu entscheiden, dieser Verantwortung doch nicht nachzukommen, obwohl ich sie erst in diese Position gebracht habe, ist Verrat, der durch nichts gutzumachen ist bzw. schöngeredet werden kann. Sich noch dazu selbstsüchtig davonzustehlen, ist der Gipfel der Feigheit. Der Freund, der den Film mit mir sah, verstand es nicht. Meinen Zorn und meine Wut auf alle Menschen, die nur ihre eigenen Bedürfnisse sehen und niemand anderen gelten lassen. Ich sehe das Kind, das nun jeden Tag am Fenster sitzt und wartet, dass die Mutter nach Hause kommt. Er meint, es wird schon damit aufhören, aber den tiefen Schmerz, die Verunsicherung, den Vertrauensverlust, den das Kind erleidet, das sieht er nicht. Ich gehe, weil ich mit Menschen nicht zusammen sein will, die Verantwortung nicht ernst nehmen und nur ihre eigenen Bedürfnisse anerkennen. Es gibt genug andere, die ebenso narzisstisch veranlagt sind. Da bin ich nicht die richtige, denn ich nehme meine Verantwortung ernst und deshalb meide ich Menschen, die es nicht tun.

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