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Life is too short for boring stories

Edgar Barfuß, der Besitzer des Krimskramsladens, setzte sich vor das heimelig knisternde Feuer im Kamen, um den er eine nette kleine Teeecke gebaut hatte, mit Fauteuils, die einluden, zu verweilen, auszuruhen oder zu plaudern. Eigentlich war es seine Frau gewesen. Sie hatte allerdings nicht nur die Teeecke, sondern auch den gesamten Krimskramsladen rundherum eingerichtet. Zuvor war es ein altertümliches Geschäft gewesen, in dem man alles für den täglichen Bedarf bekommen hatte. In Österreich liebevoll Greisler genannt. Elli, seine Frau, hatte dann nach und nach Dinge hinzugenommen, die vielleicht keine Notwendigkeit hatten, aber einen emotionalen Mehrwert bedeuten konnten, wie das Porzellangeschirr für die Puppenküche, für das jemand keine Verwendung mehr hatte, aber jemand anderen mit großer Freude erfüllte, erinnerte es doch an fröhliche, unbeschwerte Kindertage. Mit der Zeit waren immer mehr Menschen gekommen und hatten solche Dinge angeboten. Elli hatte allerdings nur das genommen, was tatsächlich in den Krimskramsladen passte. Vor zwei Jahren war sie gestorben und hatte Edgar mit dem Laden alleine gelassen. Zunächst hatte er daran gedacht, ihn aufzugeben. Doch dann brachte er es sich nicht über sich. Zu sehr war er Zuflucht geworden. Nachdenklich stellte er die Tasse ab und ging nochmals zur Türe. Mittlerweile goss es in Strömen. Deshalb drehte er das Schild an der Türe um, so dass „Geschlossen“ von draußen zu lesen war. „Bei dem Wetter kommt sowieso keiner“, dachte Edgar für sich, als er ein Scharren an der Türe vernahm.

Zaghaft öffnete er die Türe. Sofort drangen unzählige Regentropfen herein, doch er nahm es kaum wahr, denn mitten in dem Unwetter saß ein kleines Fellbündel wie ein Häufchen Elend. „Tinka, bist Du das?“, fragte er, als könnte der mittelgroße Mischling antworten, „Komm rein, Du bist ja ganz durchgefroren.“ Die Hündin folgte seiner Aufforderung und lief direkt zum Kamin, eine nicht unbeträchtliche Wasserspur hinterlassend. Edgar wusste, dass der Hund einer Dame gehörte, die sich nach und nach zur Stammkundin entwickelt hatte. Als nun ihr Mann ungefähr zur selben Zeit gestorben war wie seine Frau, hatten sie sich gegenseitig in ihrem Schmerz gestützt. Drei Mal die Woche war Fr. Dr. Inge Wächter zum Tee gekommen, jeweils montags, mittwochs und freitags. Obwohl Montag war, hatte sich Edgar zunächst keine Sorgen gemacht, als sie nicht gekommen war, denn wer wollte es ihr verdenken, bei dem Wetter, doch warum war dann ihre Hündin alleine gekommen. Doch zunächst rubbelte er das Fell des bibbernden Vierbeiners trocken, woraufhin sie sich auf dem Kissen, das Edgar ihr zum Kamin gelegt hatte, einrollte und sofort einschlief. Sie musste sehr erschöpft gewesen sein. Dann erst rief er bei Dr. Inge Wächter an. Eine Frauenstimme meldete sich schroff mit „Wächter“, doch es war nicht Inges Stimme. „Guten Abend“, sagte Edgar in seiner besonnenen Art, „Ich hätte gerne Fr. Dr. Inge Wächter gesprochen.“ „Keine Chance, die liegt im Leichenschauhaus, seit drei Tagen“, meinte die Frau am anderen Ende der Leitung. „Aber was ist passiert?“, fragte Edgar, ohne sein Entsetzen über diese Nachricht zu verbergen. „Alt halt“, erwiderte sie völlig emotionslos. „Aber dann denke ich doch, dass Ihnen ihr Hund abgehen wird, die kleine Tinka. Sie ist nämlich bei mir“, erzählte Edgar. „Na dann ist es ja gut. Ich habe den Köter vor die Türe gesetzt. War gar nicht so leicht, sie zu verjagen. Immer kam sie wieder und winselte uns die Hucke voll. Ich kann das nicht brauchen“, sprachs und knallte den Hörer auf die Gabel. Nachdenklich legte Edgar auf, während er auf die schlafende Tinka sah. „Armes Mädchen“, dachte er, „Jetzt hat Dich Inge aus der Hölle einer Tötungsstation gerettet und dann musst Du so etwas erleben. Es wundert mich, dass Du je wieder Vertrauen zu einem Menschen haben kannst.“ Aber genau das schien sie zu tun, zu vertrauen, so wie sie vor dem Kamin lag und schlief, trotz all der schlimmen Erlebnisse, ließ sie sich ein, wieder. „Ich werde Dich nicht mehr enttäuschen“, sagte Edgar in Richtung des schlafenden Hundes, „Egal was passiert, es wird Dir nie wieder ein Leid geschehen.“ Doch konnte er das wirklich glaubwürdig versprechen? Immerhin war er mittlerweile auch schon 84 Jahre alt. Wie lange hätte er noch zu leben? Doch aus irgendeinem Grund war er zuversichtlich, dass sich alles zum Guten wenden würde. Vielleicht war es das grundsätzliche Vertrauen, das auch ihn nie verlassen hatte, trotz all den schweren Zeiten, aller Schicksalsschläge, die er zu bewältigen gehabt hatte. Mit diesem tröstenden Gedanken ging er schlafen. Tinka folgte ihm und legte sich auf den Teppich, der vor seinem Bett lag. Sie war angekommen. Das war das Einzige, was im Augenblick zählte.

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