In meinen Träumen sah ich es vor mir, immer dasselbe Bild, alles verloren, alles ein Raub der Flammen, und Du standst davor, vor dem, was einmal euer Haus war, mit nichts als dem, was Du auf dem Leib trugst und was Du in Deiner Tasche hattest, die Du mit zu Deiner Freundin genommen hattest. Lange musste ich warten, lange die Träume ertragen, bis der Regen wiederkam und damit Du.
„Ich weiß nicht wie lange ich dort gestanden hatte und auf das Haus starrte. Zwei Raben saßen auf einer Trauerweide, die dicht neben dem stand, was einmal unser Haus war. Nicht das kleinste Zweiglein dieser Trauerweide war auch nur geknickt. ‚Wenn Du einen Schuldigen suchst, dann blick in Dein eigenes Herz, in Deinen eigenen Kopf’, hörte ich sie krächzen. Zuerst war es nur ganz leise. Den Raben war dereinst der Gesang genommen worden, weil sie so überheblich waren, schoss es mir durch den Kopf. Angeblich können sie als Begleiter des Gottes Odin in die Vergangenheit und in die Zukunft sehen, hatte ich einmal gelesen, aber es wird auch viel Unsinn geschrieben. Als erst war ihr Krächzen sanft, so weit es überhaupt ein passendes Attribut für diese Art der Lautäußerung sein kann, aber es wurde mit der Zeit immer lauter und lauter, bis es sich zu einem wilden Schrei zuzuspitzen schien. Es war eine Botschaft an mich. Aber vielleicht bildete ich es mir nur ein. Wurde mein Verstand wacher oder ich nach und nach verrückt? Konnte es denn sein, dass diese Vögel mir etwas mitteilten, in menschlicher Sprache oder legte ich ihnen nur etwas in den Mund, was in mir selbst wohnte? Ich konnte mich nicht rühren, als es zu regnen begann. Ich konnte mich nicht rühren, als der Regen fortdauerte. Die Raben schrien immer noch. Ich wollte fort, doch ich hatte vergessen wie das gehen konnte. ‚Warum nur war die Feuerwehr nicht gekommen?’, schoss es mir durch den Kopf. Es kann nicht an der Nacht gelegen haben, denn für die Feuerwehr ist eine Nacht wie die andere. Nichts konnte geändert werden. Eine müßige Frage. Ich wusste doch die Antwort, dessen war ich mir sicher, auch wenn ich sie nicht auszusprechen vermochte, noch nicht, so wie mich das Bild vom Feuer überraschte, das so eindeutig und überzeugend war, als wäre ich selbst dabei gewesen, doch das konnte doch nicht sein, denn ich war ja bei meiner Freundin gewesen in der letzten Nacht. Am Morgen hatte ich mich auf den Weg gemacht, gleich nach dem Frühstück, so wie ich es meiner Mutter versprochen hatte, denn wir wollten doch noch alles vorbereiten für die Geburtstagsfeier meiner Brüder. War praktisch, wenn die Brüder Zwillinge waren. Ging sozusagen in einem Aufwaschen. Niemand hatte mich vorgewarnt, als wäre es selbstverständlich, dass ein Haus mitsamt seinen Dingen und Bewohner*innen an einem Abend steht und am nächsten Morgen nur noch ein verkohltes Stück Schwarz ist, als wäre es die einzige Möglichkeit gewesen, für dieses Haus. Niemand hatte etwas gemerkt, nur dass ihr in dieser Nacht plötzlich so heiß geworden war, so unerträglich heiß. Ich erwachte, weil ich meinte zu verbrennen. Dabei war es eine eher kühle Nacht gewesen. Das Verbrennen betraf auch nicht mein Äußeres, sondern war in mir. Ich ging in die Küche um ein Glas Wasser zu trinken. Es verdampfte, sowie es meine Lippen berührte. Ich ging wieder ins Bett. Die Flammen züngelten ungehemmt in mir. Doch alles nur ein böser Traum. Ich stand und brannte, so wie in der Nacht. Das schrille Krächzen der Raben betäubte mich. ‚Du kannst Dich nicht für immer vor der Wahrheit verstecken’, krächzten die Raben, und dann kam er endlich, der Regen, doch die Raben ließen nicht nach mit ihrem Krähen und auch das Brennen in meinem Körper nicht. Ich stand im Regen und konnte mich nicht bewegen. Endlich wurde ich gepackt und in ein Auto gesetzt. Dennoch änderte sich das Bild vor meinen Augen nicht. Ich war blind für alles andere, nur das verkohlte Etwas blieb, und die unversehrte Trauerweide mit den Raben. Endlich schwiegen sie“, erzähltest Du weiter, im Regen, und endetest mit ihm.

Aus: Anonym. Begegnungen