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Life is too short for boring stories

Sophie war entkommen, den Anstandsdamen, den konventionellen Konversationen, dem ewig mahnenden Blick ihrer Tante, sich doch nun endlich einen passenden Mann auszusuchen, schließlich war sie schon 17. Nun verlor sie sich im Anblick des Schlosses Schönbrunn, an diesem bitterkalten 25. Januar 1913. Aber es war ihr egal, so lange sie nicht an der Samstagssoiree teilnehmen musste. Außer ihr war niemand im Schlosspark, dachte sie zumindest, als unversehens zwei Herren auftauchten, der eine von links kommend, der andere von rechts. Durchaus nichts Ungewöhnliches. Dennoch zogen diese beiden Männer Sophies Aufmerksamkeit auf sich. Beide waren in dunkle Mäntel gehüllt und trugen den Hut tief in die Stirn gezogen, gingen starr geradeaus und Sophie überlegte, dass sie gerade auf der Höhe des zentralen Tores aufeinanderstoßen müssten.

Bei dem, der von links gekommen war, fielen ihr, bei genauerer Betrachtung, das pockennarbige Gesicht und der feurige Blick auf. Außerdem hielt er den linken Arm ein wenig ungewöhnlich, wie einen fremden Gegenstand, der nicht zu ihm gehörte. Der andere wirkte ein wenig heruntergekommen, der Mantel schäbig, der Hut verbeult, was ihn nicht davon abhielt, die dunklen Augen rollen zu lassen. Zwei Männer, die unterschiedlicher nicht sein konnten, die aber dennoch mehr verband, als sie zugegeben hätten. So der gewalttätige Vater, der ihnen die Empathie und den Respekt im wahrsten Sinne des Wortes herausgeprügelt hatte. „Mitleid ist Schwäche“, hätten wohl beide sofort unterschrieben. Und sie würden beide das Schicksal Europas beeinflussen. Das wussten sie beide noch nicht, als sie sich an diesem Tag im Park von Schönbrunn begegnen hätten können. Ersterer war in den Gedanken an das Werk vertieft, an dem er gerade schrieb, im Exil in der Pension Schönbrunn. Später, viel später würde eine Gedenktafel an seinen Aufenthalt erinnern, die nicht jedem zur Freude gereichte. Der andere dachte voller Ingrimm daran, dass er sich nun, da er von der Allgemeinen Malerschule der Wiener Kunstakademie zum zweiten Mal abgewiesen worden war, mit dem Verkauf von läppischen Kunstpostkarten finanziell über Wasser halten musste und in diesem versieften, von Juden verseuchten Männerwohnheim in der Brigittenauer Meldemannstraße wohnen musste. Kurz bevor sie ineinanderliefen, blieben sie stehen.

„Aus dem Weg!“, befahl der, der von links kam, und nachdem sie beide cholerische Charaktere waren, ließ sich der so Angeschnauzte das nicht gefallen.

„Wir werden Euch noch lehren, ihr minderwertiges Slawenpack“, erwiderte der Andere, der den Akzent sehr wohl bemerkte, ihn aber nicht ganz richtig zuordnete. Daraufhin konnten sie sich duellieren und erstechen. Uns wäre einiges erspart geblieben. Oder es war so, dass der, der von links kam, eine Zigarette paffte und dem militanten Nichtraucher einen Schwall blauen Dunstes ins Gesicht blies.

„Gehen Sie weg, mit diesem Gestank“, ließ er vernehmen, doch der Pockennarbige ließ sich nicht einschüchtern und meinte nur,

„Du bist auch einer, der Ordnung machen will. Komm, gehen wir was trinken“, woraufhin der andere rigoros mitteilte:

„Ich trinke nicht!“

„Was, ein Revolutionär, der nicht trinkt, das kann ja nichts werden“, womit er ihn in die nächste Branntweinstube mitnahm und auf seine Seite zog, um vor lauter Saufen die Revolution zu vergessen. Ob sich dann der Lauf der Geschichte tatsächlich verändert hätte oder nur andere Namen an ihre Stelle getreten wären, niemand weiß es. Aber man wird ja noch ein wenig träumen dürfen.

Sophie sah, wie die Sonne langsam unterging. Es war Zeit wieder in ihr Leben zurückzukehren und die beiden Herren sich selbst zu überlassen.

Es hätte sein können, niemand weiß es. Aber wer errät, wer diese beiden Herren waren, die dieses imaginäre Treffen vor dem Schloss Schönbrunn gehabt haben könnten?

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2 Gedanken zu “Ein imaginäres Zusammentreffen

  1. oma99 sagt:

    Es waren Stalin und Hitler, auf welche die hier angebenen Hinweise passen:

    – Die Gedenktafel wurde an der Außenfassade jenes Hauses in der Schönbrunner Schloßstraße 30, wo sich heute die Pension „Schönbrunn“ befindet, angebracht. Zwischen Jänner und Februar 1913 besuchte Stalin auf Wunsch von Lenin Wien, um den Umgang mit den verschiedensten Völkern im Vielvölkerstaat der Donaumonarchie zu untersuchen.

    – Das Männerwohnheim in der Meldemannstraße 27 war von 1905 bis 2003 ein Obdachlosenasyl in Wien im 20. Gemeindebezirk Brigittenau. Bekannt wurde es, weil dort von 1910 bis 1913 Adolf Hitler wohnte.

    1. novels4utoo sagt:

      Großartig. Da ziehe ich meinen Hut.

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