„Jetzt erzähl endlich!“, forderte mich meine Freundin ungeduldig auf, „Wie bist Du bloß an den schrägen Vogel wieder geraten?“ Ich muss eingestehen, ich hatte sie schon lange darben lassen, während der Autofahrt und dem Weg zum Café hatte ich kein Wort gesagt. Erst als wir meinen Lieblingsplatz eingenommen, bestellt hatten und der Kellner unseren Tisch wieder verlassen hatte, platzte es aus ihr heraus.
„Wieso meinst Du, dass er ein schräger Vogel ist? Du kennst ihn ja gar nicht?“, wollte ich wissen, statt auf ihre Forderung einzugehen. Ich gestehe auch ein, dass ich ein klein wenig Freude daran hatte, sie so zappeln zu lassen.
„Was soll er sonst sein, wenn er Dir gefällt?“, fragte sie geradeheraus. Und dem konnte ich beim besten Willen nicht widersprechen.
„Nun es passierte hier, genau hier“, begann ich nun doch endlich zu erzählen, „Ich halte es normalerweise so, wenn ich allein im Café bin, dass ich ein Buch vor der Nase habe, aber dennoch alles mithöre, was in meiner Hörweite geschieht. Ich kann gar nicht anders. Und wenn das jemand im öffentlichen Raum tut, also ich meine, so laut reden, dass jemand zuhören kann, dann ist das Zuhören doch nicht ungehörig. Oder?“
„Als wenn Dich schon je interessiert hätte, was gehörig oder ungehörig ist“, stieß meine Freundin hervor und ich hegte die Vermutung, sie könne ein wenig verärgert sein, auch wenn es einem Verifizierungsversuch keinesfalls standgehalten hätte. Dennoch konnte ich mich nicht enthalten, anzumerken,
„Du hast recht, und dennoch meine ich offenbar, mich rechtfertigen zu müssen. Sehr spannend, darüber muss ich nachdenken.“
„Aber nicht jetzt, jetzt erzählst Du endlich!“, meinte sie, beinahe schon drohend. Ich wollte nachfragen, ob meine Vermutung richtig wäre, ließ es aber bleiben. Irgendetwas sagte mir, dass das nun nicht so gut wäre.
„Am Nebentisch saß ein Pärchen“, fuhr ich also mit meiner Erzählung endlich fort, „Beim Hereingehen hatte ich sie nur mit einem kurzen Blick gestreift. Nicht besonders interessant, hatte ich gedacht, mich niedergesetzt und angefangen in mein Buch zu schauen. Sie unterhielten sich zunächst leise, bis sie endlich mit der Aussage auf ihn losfuhr: ‚Sei nicht immer so zynisch!‘, worauf hin er, etwas gelangweilt wohl, erwiderte: ‚Das war jetzt sarkastisch, wenn überhaupt.‘ Da wurde ich ein wenig hellhörig. Einer, der zwischen zynisch und sarkastisch unterschied und wusste, wovon er sprach, das passierte nicht allzu oft, aber war noch nicht so aufsehenerregend, doch als er dann noch hinzufügte, dass sie sich auf eine Metaebene begeben müssen, also rein kommunikativ, da war es um mich geschehen. Das war wie Musik in meinen Ohren. Doch für sie weniger. Sie warf ihm noch vor, sie immer mit seiner Scheiß-Bildung, das hat sie wörtlich so gesagt, unter den Tisch zu reden und das wäre ihr jetzt zu viel. Damit verließ sie den Tisch. Das nahm ich wiederum zum Anlass, mich zu ihm umzudrehen und ihm – ganz impulsiv – zu sagen, ich würde mich sehr gerne auf eine Metaebene begeben, rein kommunikativ natürlich. Da blitzte etwas in seinen Augen auf, was mir sagte, dass er mein Angebot wohl annehmen würde, und vielleicht nicht nur kommunikativ. Wenige Minuten später, wir befanden uns schon längst, wo wir hinwollten, fragte ich ihn rundheraus, warum er denn angeblich zynisch gewesen wäre, obwohl es in Wahrheit sarkastisch war. Freimütig gab er zu, dass er nur gesagt hätte, er könne mit ihr über seine Gedanken nicht reden, weil diese noch nicht fertig gefügt wären.“
„Aha“, erwiderte meine Freundin knapp, „Na da muss man sich doch verlieben.“
„Vielleicht noch nicht da. Du bist immer so voreilig“, erklärte ich rundheraus, „Doch so war es nicht. Natürlich war das schon ein starker Hinweis, aber als er dann noch mit mir über das Man im Heideggerschen Sinne sprach und über Martin Buber und Emmanuel Levinas, dann war es wirklich um mich geschehen. Könnte ein Mann romantischer sein?“
„Natürlich nicht“, erwiderte sie kopfschüttelnd.
„Warst Du jetzt zynisch oder sarkastisch?“, konnte ich es nicht unterlassen, nachzufragen.
„Das werde ich Dir jetzt nicht beantworten“, entgegnete sie grinsend, „Nicht, dass Du Dich in mich auch noch verliebst.“
Es gibt einfach Momente, in denen macht es keinen Sinn zu versuchen, dem Schicksal zu entkommen. Das war eindeutig einer jener. Und ich bin überzeugt davon, jeder anderen Frau wäre es ebenso ergangen. Es war einfach ein Mann, in den man sich verlieben muss.
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