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Life is too short for boring stories

Der Wind hatte die Wolken vertrieben und die Sonne blitzte und funkelte an einem klaren Himmel. Es zog mich hinaus, auch zu den Gräbern und den Kirchen. Hier hatte sich der Legende nach Kevin von Glendalough niedergelassen und sehr schnell zahlreiche Anhänger gefunden. Nun ist der Ort eine Touristenattraktion, malerisch gelegen in einem Tal in den Wicklow Mountains. Monumente, die von der Vergangenheit zeugen. Mahnmal und Zusicherung. Mahnung an die Vergänglichkeit, Zusicherung, dass das Leben war und sein wird.

„Kevin wird nachgesagt, er wäre wie Franz von Assisi gewesen. Er hätte mit den Tieren gesprochen“, hörte ich plötzlich eine sanfte Stimme neben mir, die mir inzwischen vertraut war.

„Und war es tatsächlich so?“, fragte ich Jesus.

„Nein. Aber die Menschen machen gerne aus etwas Besonderen etwas Übernatürliches“, erklärte er sinnend, „Das Besondere genügt ihnen nicht. Es muss übernatürlich sein.“

„Wie meinst Du das?“, hakte ich nach.

„Die beiden Männer hatten eine besondere Beziehung zur Schöpfung und all den Geschöpfen, versuchten sich in sie einzufinden und zu verstehen, um im Einklang mit ihr zu leben“, sagte Jesus, „Doch viele Menschen sind der Meinung, man kann nur über die Sprache verstehen, über die gesprochene menschliche Sprache, was natürlich Unsinn ist. Dennoch wollten sie eine Erklärung, und diese bestand darin, die Männer mit den Tieren reden zu lassen. Manche ließen sie auch mit den Pflanzen reden. Als Strafe dafür wurden sie auch noch heiliggesprochen.“

„Wieso ist das eine Strafe?“, fragte ich nach.

„Weil mit der Heiligsprechung aus normalen außergewöhnliche Menschen gemacht werden. Das normal Gute, das sie getan haben, das könnte man erreichen, wenn man es ihnen gleichtut. Doch wenn sie heilig sind, dann stehen sie so weit über den normalen Menschen, dass es keinen Sinn hat auch nur zu versuchen sie nachzuahmen oder sogar zu überflügeln“, erklärte Jesus, „Dabei taten sie nichts weiter als uns vorzuleben wie der Schutz der Umwelt und unserer Mitgeschöpfe, egal ob menschlich oder nichtmenschlich, aussehen könnte. Einklang und Verstehen. Durch die Heiligsprechung wird uns gesagt, es macht keinen Sinn. Verehrung ja, aber keine Vorbildwirkung. Es ist sinnlos. Natürlich gab es auch viele andere. Menschen, die es versuchten, die diesem Vorbild nacheiferten. Zum Glück hat man es heutzutage nicht mehr so mit den Heiligen. Deshalb finden sich mehr, die sich der Schöpfung annehmen und sie schützen wollen. Heiligsprechung ist so gesehen die einfachste Form Veränderung zu verhindern.“

„Aber wenn Gott schon die Schöpfung gemacht hat, wie uns in der Bibel erzählt wird, warum repariert er sie dann nicht selbst?“, gab ich zu bedenken.

„Sag mir jetzt nicht, Du bist eine von diesen Kreationist*innen?“, warf Jesus ein.

„Es steht doch geschrieben, dass Gott die Schöpfung in sechs Tagen gemacht hat“, warf ich ein, „Und je nach Dafürhalten, ist diese Schrift den Menschen wortwörtlich eingegeben worden, entweder direkt von Gott oder durch einen Mittler.“

„All diese Schriften sind Menschenwerk, reines Menschenwerk“, erklärte Jesus rundheraus, „Das sieht man schon allein daran, dass es dauernden Änderungen unterworfen ist. Je nachdem wie der politische und soziale Wind weht, wird angepasst und umgeschrieben. Zumindest bis vor ein paar Hundert Jahren. Mittlerweile sind diese Schriften so sakrosankt, dass man nicht mehr direkt daran herumfeilt, aber die Interpretationen entsprechend anpasst.“

„Du meinst also, die Heiligen Schriften sind keine Heiligen Schriften?“, fragte ich nach.

„Mit den sog. Heiligen Schriften verhält es sich genauso wie mit allem anderen, was der Mensch in den Winkel des Heiligen stellt. Es wird dadurch unantast- und unhinterfragbar. Das entzieht es auch von vornherein jeglicher Kritik. Doch Menschenwerk ist und bleibt Menschenwerk“, meinte Jesus, „Natürlich ist es deshalb nicht zu verwerfen, aber man hat es zu nehmen, als das, was es ist. Es war für die Menschen in früheren Zeiten ein Instrument sich Dinge zu erklären, für die sie sonst keine Erklärung hatten. Desto erstaunlicher, dass man heutzutage noch so vernagelt sein kann, dass man die Erkenntnisse, die die Menschen inzwischen umfassend machten, schlichtweg leugnet, nur um etwas aufrecht zu erhalten oder daran festzuhalten, was wissenschaftlicher Stand vor tausenden Jahren war.“

„Also gab es die Schöpfung nicht?“, hakte ich nach.

„Zumindest nicht in der Form, wie sie niedergeschrieben wurde, denn das widerspricht doch jeglicher naturwissenschaftlichen Logik“, meinte Jesus achselzuckend, „Abgesehen davon wollte dieser Bericht, wie er in Genesis 1 steht gar keine naturwissenschaftlichen Erklärungen abgeben, sondern ganz was anderes. Wenn Du es Dir genau durchliest, wirst Du feststellen, dass sich eine poetische Struktur darin findet, die das Miteinander zwischen der Erde und ihren Geschöpfen darstellt, ein stimmiges, harmonisches Miteinander, im Sinne dessen, dass alles aufeinander abgestimmt ist. So ist es und so sollte es erhalten bleiben. Das war es, was die Schreiber damit ausdrücken wollten. Es geht um die grundlegende Frage, wie alles zusammenhängt und voneinander abhängig ist. Der einzige Fehler an dieser Darstellung ist, dass sie es dann doch nicht lassen konnten den Menschen über alles zu stellen. Dabei kann es nur funktionieren, wenn sich der Mensch als Teil dieses Ganzen sieht. Was dabei herauskommt, weil er es nicht getan hat und nach wie vor nicht tut, können wir heute schmerzvoll erleben, indem er die Welt schlichtweg zerstört. Also ich habe den Menschen schon manche Dummheit zugetraut und wohl auch erlebt, aber dass er es damit so weit treibt, dass er seine eigene Lebensgrundlage vernichtet, und damit sich selbst, das hätte ich nicht geglaubt. Ich dachte, oder hoffte es zumindest, dass er rechtzeitig zur Vernunft kommt. Denn durchschaut hat er schließlich sämtliche Zusammenhänge, analysiert und erforscht.“

„Und warum greift Gott dann nicht ein und zwingt ihn Vernunft anzunehmen?“, fragte ich nach, diese ständige Frage wiederholend, wie es denn sein kann, dass Gott einfach zusieht, wenn sich der Mensch selbst vernichtet.

„Weil es keine Rolle spielt“, sagte Jesus lapidar, „Wenn der Mensch ausstirbt, dann stirbt er aus, so wie schon so viele Spezies vor ihm und so viele nach ihm. Das ist der Lauf der Welt. So hat die Erde die Möglichkeit sich davon zu erholen, was der Mensch während seines relativ kurzen Aufenthaltes auf diesem Planeten alles zerstört hat.“

„Und Gott ist es egal, wenn die Menschheit ausstirbt?“, fuhr ich fort.

„Vielleicht nicht egal, aber der Mensch ist ein Geschöpf unter allen anderen, nicht mehr und nicht weniger“, erklärte Jesus rundheraus, „Auch wenn er so schrecklich stolz ist auf seine Vernunft und die Sprache und was weiß ich noch alles, macht ihn das nicht mehr oder weniger wertvoll. Er hat eben andere Gaben. Das ist alles. Leider auch die, sich über andere zu erheben und sie zerstören zu können. Dabei übersieht er gerne, dass er auch retten und schützen und fördern kann. Entschieden hat er sich, im Großen und Ganzen gesehen, für seine eigene Zerstörung.“

„Du glaubst also an die Evolution?“, fragte ich nach, weil ich es kaum glauben konnte.

„Das ist keine Frage des Glaubens, sondern eine simple Faktizität. Man kann Faktizitäten nicht für immer verleugnen. Natürlich kann man, aber es tut nicht gut. Aber selbst die, die sie anerkennen, haben nichts daraus gelernt. So weit zur intellektuellen Überlegenheit des Menschen über seine Mitgeschöpfe. Er nimmt sich schlicht und ergreifend viel zu wichtig. Das wäre nicht das Hauptproblem, würde er seine Fähigkeiten wenigstens positiv einsetzen.“

„Und was ist mit all jenen, die es tun?“, setzte ich hinzu, mich erinnernd, dass es doch auch Menschen gibt, die eine Wende herbeiführen wollen.

„Nun, die gibt es durchaus, doch ich fürchte fast, es ist zu spät. Zu stark sind die Kräfte, die dagegen arbeiten“, meinte er achselzuckend, „Aber natürlich, Hoffnung darf man immer haben und aufgeben ist keine Option. Wir wissen das. Dennoch stehen die Chancen nicht allzu gut. Dafür desto besser, jetzt ein Frühstück zu ergattern. Wollen wir mal sehen, ob Maria sich darum gekümmert hat?“

 

Jesus nahm mich an der Hand, um mich zurück zum Cottage zu führen. In meinem Kopf schwirrte es. Jesus ist Evolutionist und der Mensch hat keine Vorrangstellung in der Schöpfung. Gedacht hatte ich es mir, schon lange, doch nun hatte ich es quasi aus erster Hand bestätigt bekommen. Es war verwirrend. Desto mehr wog die Verantwortung, weil wir es eigentlich hätten wissen können. Der erste Tag des Adventes, und mir kam vor, dass ich weiter von der Antwort auf die Frage warum wir Weihnachten feiern entfernt war als je zuvor.

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