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Life is too short for boring stories

„Was hättest Du eigentlich getan, wenn irgendeiner von den Lehrer*innen was dagegen gehabt hätte, dass Nanna mit in der Klasse ist?“, fragte Sarah, eine von Pippas Mitschülerinnen in der großen Pause.

„Dann wäre ich auch nach Hause gegangen“, erklärte Pippa entschieden, doch so unterschiedlich die Reaktionen der Lehrer*innen auch war, von desinteressiert bis entzückt, keine*r sah einen Grund Nanna nicht in der Klasse zu dulden, die eigentlich fast die ganze Zeit schlief. Dennoch war sie an diesem Vormittag der absolute Mittelpunkt in der Klasse. Viele waren begeistert, sahen sie doch das erste Mal in ihrem Leben ein richtiges, lebendiges Schwein, und das obwohl es in diesem Dorf etliche Bauernhöfe gab. Nur, dass man die Tiere, die auf diesen Höfen lebten, nie zu Gesicht bekam. Mastschweine eben. Muttersauen eben. Eingesperrt ihr ganzes Leben lang. Andere waren neugierig. Doch keinen ließ Nanna kalt.

So standen die Jugendlichen in der großen Pause um Nannas Körbchen herum und plauderten. Alle schienen sich zu beteiligen, alle, bis auf einen. Ralph stand zwar in der Runde, hatte aber bisher kein Wort gesagt, beobachtete und war zunächst verwirrt. Pippa war so in ihre Gespräche vertieft, dass sie ihn nicht beachtete, aber Leo war aufmerksam und bemerkte wie sich seine Lippen zusammenpressten und er die Stirn in Falten legte. Gleichzeitig ballte er die Fäuste mit solchem Ingrimm, dass die Knöchel weiß wurden. Endlich holte er mit dem Fuß aus, so wie er es wohl vom Fußballspielen gewohnt war, um den Ball zu treten, doch da war kein Ball. In dem Moment, in dem er das Bein nach vorne schnellen ließ war Leo klar was er vorhatte. Geistesgegenwärtig stellte sie ihr Bein dazwischen, knappe 20 Zentimeter bevor er das Körbchen berührte. Ein lautes Knacken von Knochen war zu vernehmen. Es hörte sich an, als würden zwei Holzstücke hart aufeinandergeschlagen. Dann war es mucksmäuschenstill. Pippa hatte das Körbchen mit Nanna aufgehoben, am ganzen Leib zitternd bei dem Gedanken was passiert wäre, wenn Leo nicht so tapfer dazwischen gegangen wäre. Ralph war kein schlechter Fußballer. Hätte er das Körbchen mit aller Wucht getroffen, wäre es wohl an die Wand geschlagen und Nanna herausgefallen.

„Danke Leo“, konnte Pippa nur flüstern.

„Danke, dass sie mir den Fuß gebrochen hat?“, entfuhr es Ralph, so dass er seiner Wut endlich freien Lauf lassen konnte, und sei es nur verbal.

„Und Du hättest die Kleine schwer verletzt“, entgegnete Leo ihrem ebenfalls am Boden sitzenden Kontrahenten.

„Wen interessiert denn schon ein Schwein, außer als Schnitzel“, sagte er grinsend.

„Dieses kleine Schweinchen ist mehr wert als Du, denn es würde niemandem etwas zu leide tun“, meinte Leo knapp und sachlich, während sie Ralph nicht aus den Augen ließ. Verblüffung zeichnete sich in seinen Augen ab, doch bevor er noch etwas erwidern konnte, kamen Sanitäter in die Klasse. Irgendwer musste die Rettung verständigt haben. Professionell beförderten sie die beiden Verletzten ins Krankenhaus. Der Rest des Vormittags verging in entsprechend gedämpfter Atmosphäre.

„Bloß der Unterschenkel gebrochen. Ralph auch. Werde wohl auf Weiteres nicht schwimmen gehen können“, teilte Leo Pippa kurz und bündig per WhatsApp mit. Pippa war trotzdem einigermaßen beruhigt, auch wenn sie nicht verstand warum Ralph das gemacht hatte, so sehr sie sich auch den Kopf zerbrach. Was konnte eine solch unbändige Wut auf solch ein unschuldiges Tier ausgelöst haben? Was ging nur in seinem Kopf, in seinem Herzen vor?

 

Diese Gedanken ließen Pippa nicht los, auch noch als die Schule endlich aus war und sie mit Nanna im Körbchen schnurstracks zur Ordination von Dr. Wagenscheidt ging.

„Ein tapferes, kleines Mädchen“, stellte der Veterinär zufrieden fest, als er Nanna auf die Waage stellte und diese genau ein Kilo anzeigte, „Zwar nicht ganz so schwer wie sie sein sollte, aber das holt sie schon noch auf. Ich gebe ihr jetzt ihre Spritzen und dann kommst Du noch zwei Mal. Ich denke, dann ist sie über den Berg.“

 

Voller Freude über diese guten Neuigkeiten lief Pippa die Treppen hinunter und wäre beinahe über ein Schwein gestolpert. Ein Schwein? Hier am Hauptplatz? Freudig grunzte sie das Schwein an, das mit Brustkorb und Leine versehen war, die in der Hand einer Frau mit schwarzem, kurzem Haar endete. Das musste diejenige sein, von der sich die Leute im Dorf nicht genug das Maul zerreißen konnten, die Zugezogene. Nicht um die Burg wollte Pippa der Name einfallen.

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