da war alles plötzlich ganz anders, weil alles gleich blieb. Bloß, dass ich mir etwas bewusst machte, was bisher nur intuitiv da war. Ich sprach es sogar aus. Es war wie ein Unterstreichen des Vorhandenen.
Ich lag im Bett, meine Kinder schliefen bereits. Neben mir die Hunde, und ansonsten nur Stille. Ich las. Versunken, zeitlos. Da legte ich das Buch um und sah auf. Vor dem offenen Fenster sah ich den klaren Sternenhimmel. Alles war gut. Ruhe, Frieden, im Moment sein. Doch was war das noch? Was für ein Wort gab es dafür? Glück. Das war das Glück. Das, das einfach da ist, und das wir nur allzu oft nicht bemerken. So selbstverständlich. Von allem genug. Zu essen. Zu tun. Zu trinken. Das Dach über dem Kopf und ein warmes, sanftes Miteinander. Es ist so unspektakulär, dass es kaum wahrnehmbar ist. Aber wehe etwas fehlt. Es fehlte nichts. Ich will es nicht abrutschen lassen in eine Selbstverständlichkeit, weil ich nicht daran denken kann, wenn es nicht mehr ist. Ich möchte nicht festhalten, aber es zumindest bewusst sehen. Jetzt ist es. Das genügt.
Das größte Glück ist nichts wert, wenn wir in dem Moment bereits an ein mögliches Unglück denken.
Das größte Glück hat keine Chance, wenn wir uns vor dem Verlust ängstigen.
Wie wenig Chancen hat dann erst dieses kleine, alltägliche Glück, das doch eigentlich nicht der Rede wert ist. Angeblich. Gerade das ist der Rede wert. So sagte ich es, sage es: „Ich bin glücklich.“ Einfach so, auch wenn es keiner hört. Es meint nichts Bestimmtes, nur das Präsent-sein im Moment, in dem es ist. Immer wieder aufs Neue.
„Ich bin glücklich“, sagte ich, und dann dachte ich an das Elend in der Welt. Es gibt so viel davon, dort draußen, hinter der Ruhe und der Stille und dem Frieden, werden Millionen von Lebewesen jeder Spezies missbraucht, misshandelt, vergewaltigt, ausgebeutet, gedemütigt und getötet. Wer nur ein wenig die Augen aufmacht und das sieht, dem kann das nicht gleichgültig sein. Ich weiß es. Natürlich nicht in allen Einzelheiten, aber das was ich weiß, was Tag für Tag an Bildern übermittelt wird, das ist schlimm genug. Und da wage ich es glücklich zu sein?
Ja, ich wage es, weil mein Mitleiden an einem Leid, das ich selbst nicht erlebe, keinen Sinn macht. Weil mein Leid, mein Unglück, niemand anderem das Leid abnimmt, noch jemand anderen Glück bringt. Alles was ich damit bewirkte wäre, dass ich dem vielen Leid noch ein weiteres hinzufüge. Ein unnötiges. Nichts ist sinnloser. Denn wer selbst in Leid und Unglück verstrickt ist, hat weder den Blick noch die Freiheit anderen zu helfen. Denn dann ist die ganze Welt Schmerz und Elend. Doch wenn ich mich selbst geerdet, aufgehoben und vertraut fühle, gefestigt in meinem Leben, dann kann ich mich aufmachen und anderen beistehen.
„Ich bin glücklich“, heißt auch es mir zuzugestehen, heißt es mir zu gönnen. Denn ich kann nur für andere da sein, wenn ich auch für mich da bin. Alles andere ist bestenfalls Eitelkeit. „Ich habe mich aufgeopfert, für meine Familie“, heißt es da, von der frustrierten Hausfrau. Opfer um sich im Selbstmitleid zu halten. Opfer um das Jammern nicht aufgeben zu müssen.
Dabei ist das Leben für viele von uns so schön, wenn wir es zulassen und ab und zu sagen, wenn es passt: „Ich bin glücklich!“
Das Leben literarisch ergründen

Ungezähmt. Anleitung zum Widerstand


Der Weg ist das Ziel ist der Weg
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