23. Liebe zu sein
Ruben vollendete seine Krippe mit ein paar wenigen Handgriffen. Sie stand schon seit einigen Tagen in der Auslage, doch so recht passen wollte es ihm nicht. Jetzt endlich war er zufrieden. Alle standen an ihren Plätzen. Maria und Joseph neben der Krippe. Ochse und Esel an der Futterkrippe und die Engel waren am Dach. In Erwartung. In Hoffnung. Still war es, dort draußen am Feld. Das Jesuskind würde erst am Heiligen Abend in der Krippe sein. Tag der Ankunft. Tag der Erfüllung einer langgehegten Hoffnung und Erwartung. Ruben setzte sich um einen letzten Blick auf sein Werk zu tun. Er fand nichts mehr daran auszusetzen. Und dann wanderte sein Blick zu Lilith. Ob sie auch zufrieden war, mit seiner Arbeit? Oder wollte er, dass sie zufrieden war mit ihm?
„Sie ist wunderschön geworden“, sagte Lilith, während sie ihn ansah.
„Findest Du?“, fragte Ruben.
„Ja, das finde ich. Es ist die schönste Krippe, die ich je in meinem Leben gesehen habe“, erklärte sie, und es klang, als würde es so sein.
„Jetzt übertreibst Du aber gewaltig“, konnte sich Ruben nicht enthalten zu sagen.
„Nein, ganz bestimmt nicht!“, sagte Lilith mit aller Entschiedenheit, „Denn Du hast sie mit Herz und Seele gemacht. Und alles, was Du mit Herz und Seele machst, ist unvergleichlich. Aus dem Werk Deiner Hände erzählst Du auch ein Stück von Dir.“
„Und was für ein Stück von mir erzählt diese Krippe?“ fragte Ruben.
„Dass Du einen Weg gefunden hast Dich auszudrücken und zu schenken, der über Worte hinausgeht und doch nur der versteht, der wirklich hinsieht und verstehen will“, erklärte Lilith nachdenklich, „Vielleicht bist Du nicht derjenige, der großartig über seine Gefühle spricht, auch wenn Du es langsam lernst, doch Du legst sie in Dein Tun. Vielleicht ist es aber auch die Angst festgehalten zu werden, denn Worte haben mehr Eindeutigkeit als Taten.“
„Festgehalten. Festgenagelt“, meinte Ruben, „Verpflichtet auf einen Moment, in dem man fühlte, aber auch Gefühle können sich ändern, so wie sich das Leben ändert, so wie man sich selbst ändert. Und immer noch wird man festgehalten in dem, was man einmal sagte, als wäre es ein Gelöbnis auf ein Für immer, aber das Für immer ist immer eine Lüge.“
„Wir tendieren dazu zu halten, statt freizugeben, weil wir haben wollen und nicht sein lassen“, sagte Lilith, „Es ist schade, denn es macht uns unbeweglich, das Halten und das Haben, es macht uns leblos. Dagegen macht das Loslassen und das Seinlassen frei und beweglich.“
„Wie meinst Du das?“, fragte Ruben, während sein Blick sich auf sie konzentrierte, während er sie mit einer neuen Intensität betrachtete, auch wenn er nicht wirklich wusste, ob sie neu war, oder ob sie ihm erst in diesem Moment bewusst wurde. Wenn es so sein sollte, dann wurde ihm noch mehr bewusst, gerade jetzt, da er die Frage gestellt hatte. Obwohl er sie laut ausgesprochen hatte, war sie nicht nur an sie gerichtet, sondern auch an ihn selbst, denn er fand die Antwort. Und Lilith antwortete nicht. Sie ließ ihm Zeit, die Antwort selbst zu finden.
„Es ist wie mit meiner Krippe“, fuhr Ruben fort, „Ich habe sie gemacht. Jetzt ist sie fertig. Es ist an der Zeit sie einfach zu lassen, denn dann kann ich mich einer anderen Aufgabe zuwenden, mich ihr gänzlich widmen, ohne zurückzusehen, sondern mich auch in diese ganz einzubringen.“
„Ein wenig hinkt der Vergleich, wenn Du ihn auf den Menschen überträgst, aber im Prinzip ist es so“, gab Lilith ihm recht, „Wenn ich einen Menschen halten will, wenn ich ihn mit meiner Hand halte, so muss ich die Hand schließen, Die Hand ist mit Halten beschäftigt und kann sonst nichts mehr halten. Und der, den ich halte, er wird abgehalten sich seinerseits zu rühren. Er kann sich nicht entwickeln und eigentlich auch nicht mehr Sein. Denn Sein bedeutet Veränderung. Wenn es festgehalten wird stagniert es. Das ist die Weise des Habens.“
„Aber in der Weise des Seins, öffne ich die Hand“, erklärte Ruben nachdenklich, „In der Weise des Seins gebe ich Dich frei und halte Dich nicht. Lasse Dich leben und Dich entwickeln und freue mich daran, dass Du lebst und Dich entwickelst, freue mich daran, es begleiten zu dürfen. So wie Du Dich daran freust, dass ich lebe und ich mich entwickle, freust Dich daran, es begleiten zu dürfen.“
„Wenn ich in der Weise des Habens liebe, dann habe ich immer zwei Probleme, die mich einschränken“, setzte Lilith fort, „Einerseits darf ich die Hand nicht mehr öffnen, denn damit würde ich Dich freigeben und Du würdest etwas suchen wo Du frei sein kannst. Ich lebte in der ständigen Angst Dich zu verlieren, denn was ich habe, das kann ich auch verlieren. Und indem ich alles tue, um das zu verhindern, ist es genau das was dazu führt, dass es passiert. Ich provoziere das, was ich verhindern will.“
„Wenn ich in der Weise des Seins liebe, dann lösen sich diese Probleme auf, nein, sie stellen sich gar nicht erst“, ergänzte Ruben seinerseits, „Denn wenn ich Dich nicht halte, dann ist meine Hand offen …“
„… und ich kann meine in Deine legen …“, sagte Lilith, indem sie es tat, da Ruben seine Hand auf sie zu öffnete.
„… und ich kann sie umfassen und wieder öffnen …“, sagte Ruben, indem er die Finger um ihre schloss und wieder öffnete, als wollte er ausprobieren, ob es wirklich funktioniert.
„… und ich kann Dich umschließen ohne Dich zu halten …“, erklärte Lilith.
„… und in diesem Gehalten-sein kann ich sein und mich entwickeln …“, erklärte Ruben.
„… und in Dir, mit Dir, kann ich sein und mich entwickeln…“, sagte Lilith.
„… und ich kann Dir immer wieder aufs Neue Gabe sein, Gabe die Du nicht einforderst, sondern als Geschenk siehst …“, sagte Ruben.
„…. und ich kann Annahme sein für die Gabe, die Du bist, jedes Mal aufs Neue …“, erklärte Lilith.
„… und ich kann mich einfinden in Dich, als wäre es ein Heimkehren, Heimat finden, Geborgenheit …“, erklärte Ruben.
„… und ich kann Dir der Ort Deiner Ankunft sein, wenn Du zu mir kommst …“, sagte Lilith,
„Ich liebe Dich.“
„Ich liebe Dich“, sagte Ruben, um sie in die Arme zu schließen, sie zu küssen und sich darin darbringend, als das Geschenk, das sie sich waren, bereit sich Gabe und Annahme, Offenheit und Zu Hause zu sein, sich liebend zu sein in der Weise des Seins.
Als Ruben an diesem Abend beschloss zu bleiben, so war es seine Gabe, die Annahme fand, in aller Freiheit, in aller Offenheit, in aller Zugewandtheit.
Und es war die offene Hand, die sich fand, an diesem Abend in der Auslage des leeren Geschäftes, denn nichts ist größer als das Geschenk in der Offenheit der Liebe in der Weise des Seins.
Adventkalenderbücher

Auf der Suche nach dem Sinn von Weihnachten



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