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Life is too short for boring stories

„Ach, Konradilein, Du schaust doch sicher gerne auf die Kinder, während wir Erwachsenen hier noch zu tun haben“, sagte Vanessa Lieblich ihrem Namen gemäß, so einschmeichelnd wie es ihr möglich war und nötig erschien, zu ihrem jüngstem Bruder. Dieser saß tief versunken im weichen Sofa und sah gedankenverloren auf den leeren Platz neben sich.
„Letzte Weihnachten ist sie noch dagewesen …“, meinte er leise.
„Ja, ja, ist schon gut. Wir haben alle unsere Probleme“, meinte seine Schwester leichthin, „Aber dann wird es Dir doch erst recht gut tun, dass Dich die Kinder ablenken. Komm, erzähl ihnen eine von Deinen tollen Geschichten.“ Damit wandte sie sich ab und schickte die Kinder, gemeint waren die sieben Neffen und Nichten, die Kinder seiner Schwestern, die ihm anverwandt waren. Nacheinander betraten sie den Salon, in dem Konrad noch tiefer in dem Sofa versank, als könnte er sich unsichtbar machen. Sie gruppierten sich rund um ihn herum, die Kleinen aufmerksam und gespannt, die Großen gelangweilt und mürrisch. Nur den Platz auf dem Sofa neben ihm, den durfte niemand einnehmen, denn der gehörte seiner Frau Klara, auch wenn sie diese Weihnachten nicht mit ihnen feiern konnte. Diese nicht und jede weitere auch nicht. Rasch wandte sich Konrad von diesem Gedanken weg, denn er spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen und begann mechanisch zu erzählen, während er die lachenden Stimmen seiner Schwestern und Schwäger aus dem angrenzenden Wohnzimmer vernahm. Letztlich war es ihm egal, denn er würde nie mehr lachen können.

Jedes Jahr, seit seine älteste Schwester Vanessa Lieblich, ihre eigene Familie gegründet hatte, wurde bei ihr Weihnachten gefeiert. Immer war es das gleiche Zeremoniell. Konrad wurde mit den Kindern abgeschoben, der kleine, schwache, schüchterne Konrad, der es noch nie geschafft hatte, sich gegen seine Schwestern, immerhin fünf an der Zahl, durchzusetzen. „Konradlein macht das schon“, hieß es, und das Fatale war, er machte tatsächlich. Als das jüngste der sechs Kinder, war er immer irgendwie mitgelaufen. Wohl auch, weil er von Anfang an ruhig und zurückhaltend gewesen war, selbst schon als Baby. Die Ruhigen und Stillen werden zumeist übersehen. Das hatte wohl mit dazu beigetragen, dass er sich schon früh in eine andere Welt, die der Bücher, geflüchtet hatte. Mit vier Jahren brachte er sich selbständig das Lesen bei und während seine Schwestern permanent die Aufmerksamkeit der Eltern einforderten, schien es, als wäre er so präsent wie die Stehlampe in der Ecke. „Was für ein angenehmes Kind“, hatte er ab und an die Erwachsenen einander zuraunen gehört, wenn er wieder in ein Buch vertieft in irgendeiner Ecke saß. Auch in der Schule blieb er zurückhaltend und unauffällig. Deshalb hatte er auch nur zwei Freunde, die ebenfalls als Außenseiter galten. Das war wohl auch der Grund gewesen, warum sie sich zusammengefunden hatten. Zumindest ließen sie die anderen Kinder in Ruhe. Deshalb wählte er den Beruf des Bibliothekars, der zwei Vorteile für ihn hatte. Er konnte sich ständig mit Büchern beschäftigen und entging dem menschlichen Umgang fast gänzlich. Die Hoffnung auf eine Frau an seiner Seite hatte er früh abgeschrieben. Welche Frau sollte ihn auch nur ansehen, so klein und unscheinbar wie er war? Eines Tages vor nunmehr über 40 Jahren, stolperte er, wie immer in ein Buch vertieft, in eine ebenso zierliche Frau. Sie lächelte ihn leichthin an und meinte, dass sie nun mit ihm in der Bibliothek arbeiten würde, in der er seinen Dienst versah. Von diesem ersten Moment an hatte er eine ganz besondere Verbindung zwischen ihnen gespürt, auch wenn er nicht daran glauben mochte, dass es Klara genauso ergehen würde. „Ich kann es immer noch nicht fassen, dass diese wunderbare Frau, gerade mich erwählt hat“, wusste er von ihrer Hochzeit an, die wenige Wochen nach ihrem ersten Zusammentreffen stattgefunden hatte, bis viel Jahre danach, zu wiederholen. Sie schienen tatsächlich in allen Belangen zu harmonieren. Ihre Ehe war dementsprechend ruhig und glücklich. Dieses wunderbare, stille Glück, dass nur zwei Menschen kennen, die sich im Einvernehmen wissen, Hand in Hand, für sich und miteinander. Vierzig Jahre lang konnten sie sich dieses gemeinsamen Glücks erfreuen. Konrad hatte sich darin eingerichtet und dachte, dass sich bis zu seinem Tod daran nichts ändern würde, bis der Krebs kam und Klara innerhalb kürzester Zeit von seiner Seite riss. Zehn Monate waren seitdem vergangen, doch es war ihm, als wäre es erst gestern geschehen. Nie wieder würde er ins Leben zurückfinden, denn sie war sein Leben gewesen und ohne sie schien alles leer und sinnlos zu sein.

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