Nana besah sich den Mann, der unversehens zu ihnen getreten war und sich nicht scheute, ihr zu helfen. Er war groß, sehr groß, breitschultrig und muskulös. „Ja, das tut er“, entgegnete Nana lapidar. „Dann würde ich Dich bitten zu gehen und diese Dame in Ruhe zu lassen“, sagte der große Mann ruhig an Bo gewandt. „Was geht Dich das eigentlich an? Ich kann sein, wo ich will, das ist mein gutes Recht!“, erklärte er mit seiner gewohnt rechthaberischen Attitüde. „Und diese Dame hat das Recht, hier unbelästigt einen Whiskey zu trinken“, blieb der Unbekannte ruhig, „Und wenn Du nicht gehst, dann werde ich Dir zeigen, wo die Türe ist.“ „Das wirst Du büßen. Ich werde Dich verklagen, wegen Nötigung“, meinte Bo beleidigt, „Sag doch auch mal was Nana“, setzte er hinzu und seine Stimme bekam plötzlich einen flehenden Unterton. „Geh einfach“, meinte Nana knapp, ohne ihn anzusehen. „Das wird Folgen haben, verlasst Euch drauf, für Dich und Deinen Dorftrottel“, konnte Bo sich nicht enthalten zu sagen, bevor das Lokal tatsächlich verließ.
„Danke für Deine Hilfe“, meinte Nana kurz, „Ich heiße übrigens Nana und wohne mit meiner Hündin oben im Haus an der Klippe“, um sich rasch zu verbessern, „Also ich wohne jetzt dort, ohne meine Hündin.“ „Ich weiß, es hat sich schon im ganzen Dorf herumgesprochen, dass sich da oben eine eingemietet hat, die sich kaum blicken lässt, bloß mit ihrem Hund herumläuft“, meinte er achselzuckend, „Ich bin übrigens Oisin.“ Damit reichte er Nana die Hand. „Und mein herzliches Beileid zum Verlust Deiner Hündin“, setzte der hinzu. „Danke“, meinte Nana knapp, weil sie schon wieder spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. „Was machst Du so?“, fragte Oisin rasch, um Nana abzulenken. „Ich bin Schriftstellerin“, erklärte diese dankbar, „Und Du?“ „Ich mache dies und das aus Seegras“, meinte dieser, woraufhin sich ein langes Gespräch ergab. Kunterbunt durcheinander erzählten sie einander von ihrem Leben, wobei Nana auffiel, dass Oisin ebenso offen erzählte, wie er interessiert zuhörte. Es war gut, wie eine Umarmung. Es war besser, wie eine Umarmung, es war eine Annahme. Sie waren so sehr in ihr Gespräch vertieft, dass sie nicht merkten, wie die Zeit verging. Erst als sie aufgefordert wurden, die letzte Runde zu bestellen, kehrten sie zurück in die Wirklichkeit, das Hier und Jetzt. Oisin begleitete Nana noch bis zu ihrer Haustüre, denn – so sein Argument – er wolle sichergehen, dass ihr nicht irgendetwas zustoßen würde, was nicht so abwegig war. Doch dann verabschiedete er sich. Erst jetzt merkte Nana, wie erschöpft sie war. Sie schaffte es gerade noch, ins Haus zu stolpern und ins Bett zu fallen, wo sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.
Unsanft wurde Nana durch ein anhaltendes Klopfen an der Türe am nächsten Morgen geweckt. Mühsam erhob sie sich, um zu sehen, wer denn so rücksichtslos war. „Wehe, wenn …“, dachte sie noch, als sie die Türe aufriss, aber sie hatte sich unnötig Sorgen gemacht, denn es war Oisin. Um ihn herum sprang ein quietschfideler, dreifärbiger Welpe. „Kommt rein!“, forderte Nana die beiden auf. „Hör mal, Nana, der Kleine hier, wir haben ihn vorläufig Liam genannt, aber Du kannst ihm jeden anderen Namen geben, also der war eigentlich für meine Schwester bestimmt, aber die ist jetzt nach Dublin gezogen und da kann sie ihn nicht mitnehmen“, meinte Oisin. „Und da dachtest Du, jetzt, wo Anima tot ist, da kann sie so leicht ersetzt werden“, meinte Nana schroff. „Nein, ganz und gar nicht, nur, dass der Kleine sonst nirgends hinkann“, sagte Oisin sanft. „Und ich will keinen Hund mehr, nie wieder und einen Rüden schon gar nicht“, erklärte Nana mit aller Bestimmtheit, die ihr möglich war, während sie den Kleinen beobachtete und bereits spürte, wie ihre ganzen guten Vorsätze dahinschmolzen wie Eis in der Sonne. „Weißt Du was, ich lass ihn einfach mal da und wenn Du ihn wirklich nicht willst, dann hole ich ihn wieder“, nahm Oisin einen erneuten Anlauf. Es war der Moment, in dem Nana wusste, dass sie ihn nicht mehr hergeben würde, aber vor allem, dass sie hier bliebe. Es musste ein guter Ort sein, an dem man einen Menschen trifft, dessen Gespräche besser sind als eine Umarmung. „Dann sehen wir uns später“, sagte Oisin, als er sich verabschiedete. „Ja, ganz sicher“, meinte Nana und merkte, wie sie sich freute, auf später und auf den Rest ihres Lebens.
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