„Aber Sie dürfen doch nicht die Augen aufmachen, denn dann sehen Sie ja nicht tot aus“, erklärte der nette Herr vom Bestattungsinstitut. Adele überdachte es, und meinte für sich, dass sie nur dann ganz vorsichtig schauen würde, wenn es kein anderer tat oder sie gerade nicht fotografiert wurde.
Alle waren sie da, und Adele musste, zugeben, sie spielten ihre Rollen ausgezeichnet, allen voran der trauernde Ehemann, dann die engen Freunde und vor allem die engen Feinde, und nicht zuletzt die Presse. Adele war selig, denn eines war gewiss, sie war die schönste untote Leiche, die je in dieser Kapelle aufgebahrt worden war. Was sie störte war das eingeschränkte Blickfeld, aber es war ihr versprochen worden, dass alles gefilmt wurde.
Die Andacht war kurz, aber herzerweichend. Wenn Adele nicht auf ihr Make-up achten hätten müssen und natürlich auf ihr Tod-sein, sie hätte doch wohl die eine oder andere Träne herausgedrückt. Schließlich wurde der Deckel geschlossen und die Träger brachten sie zum geöffneten Grab.
„Muss das auch sein?“, hatte Adele Reinhard bei der Besprechung der Zeremonie gefragt.
„Natürlich“, antwortete dieser ruhig, „Schließlich soll es doch ein richtiges Begräbnis sein.“
Ja, und das wurde es. Adele spürte wie der Sarg langsam in die Erde gelassen wurde. Verbissen tastete sie nach ihrer Tasche. Wie hatte sie nur darauf vergessen können, dass sie ja unter Klaustrophobie litt.
* * *
Adele lag in dem engen, dunklen Sarg und spürte wie die Panik in ihr hochstieg. „Wo ist denn nur diese verdammte Box?“, dachte sie, während sie in ihrer Tasche kramte. Der Sarg wurde in die Grube hinabgelassen. Dann stand er wieder still. Wie viele Filme hatte sie doch gesehen von lebendig Begrabenen. Egal wie unterschiedlich die Umstände waren, sie hatten doch alle eines gemeinsam, die blutig gekratzten Fingernägel. Das konnte sie nicht machen, so frisch von der Maniküre kommend, und wozu auch, sie wurde ja wieder herausgeholt, ganz bestimmt wieder herausgeholt. Von Ferne drangen salbungsvolle Worte an ihr Ohr. Endlich hatte sie die Pillenbox gefunden, öffnete sie und tastete darin herum. Eine war noch da, eine einzige. Hastig schob sie sich diese in den Mund, während draußen kleine Schaufelchen mit Erde auf ihren Sarg geworfen wurden. Während sie immer ruhiger und ruhiger wurde, entfernte sich das Geräusch und auch alle anderen, bis sie nichts mehr hörte.
„Vielleicht war es doch ein wenig übertrieben, ein wenig zu realistisch“, merkte Reinhard nachdenklich an, als der Sarg wieder geöffnet worden war und Adele mit geschlossenen Augen darin lag und nicht mehr reagierte.
„Ob sie wohl eingeschlafen ist?“, fragte Amanda, die sich ebenfalls über den Sarg gebeugt hatte.
„Ob man unter solchen Umständen einschlafen kann?“, fragte Reinhard sarkastisch, „aber vielleicht hat sie ja eine von ihren kleinen Pillen genommen, um sich zu beruhigen.“ Doch da war kein Puls, kein Atemzug, der die Brust gehoben hätte. Auch der Arzt, der umgehend gerufen wurde, konnte nur mehr den Tot feststellen, so dass es doch noch eine richtige Beerdigung wurde, und aus den falschen mehr oder weniger echte Tränen.<
„Wie hatte das nur geschehen können?“, fragte sich Amanda.
Drei Tage später war Reinhard mit dem Auto Richtung Monaco unterwegs, und er war nicht alleine.
„Jetzt hast Du es doch endlich geschafft sie loszuwerden“, sagte Amanda erfreut, „Nach all den Jahren war es nun doch so einfach, obwohl ich nicht weiß wie Du das gemacht hast, dass sie dann wirklich starb.“
„Ach es war nicht schwer“, sagte Reinhard lächelnd, „Es hat halt einfach eins ins andere gepasst.“
„Aber wie hast Du es gemacht, vor allem, dass niemand Verdacht schöpfte?“, blieb Amanda hartnäckig, und Reinhard musste zugeben, er fühlte sich geschmeichelt von so viel Aufmerksamkeit für sein Werk.
„Nun, Du weißt ja, dass sie bei jeder kleinen Aufregung zu ihren Beruhigungstabletten griff. Unser Hausarzt bestätigte gerne, dass sie von dem Zeug abhängig war. Nun sehen meine Herztabletten ihren Tabletten sehr ähnlich, und diese lagen im Badezimmer immer nebeneinander. Als sie das letzte Mal eine Tablette in die Box gab, hat sie wohl die falschen erwischt, nehme ich an. Im Dunklen konnte sie das dann sowieso nicht unterscheiden, und das genügte“, erklärte Reinhard nachdenklich.
„Wenn man es so sieht, kannst Du ja wirklich nichts dafür, hast Du nichts getan“, resümierte Amanda.
„Ganz genau so ist es“, bestätigte Reinhard.
„Das war einfach Schicksal oder vielleicht die Strafe dafür, dass sie Dinge vorweggenommen hat, die noch nicht reif sind“, merkte Amanda an, „Obwohl es doch sein Gutes hat.“
„Das hat es, und es hätte nicht gelegener kommen können, aber ich denke, wir sollten in Monaco nicht ins Casino gehen“, meinte Reinhard.
„Denn bei so viel Glück in der Liebe, können wir im Casino nur verlieren“, ergänzte Amanda lachend, während sie sich den Wind durch die Haare wehen ließ. Wie schön das Leben doch sein konnte.
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