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Life is too short for boring stories

„Wissen Sie wann der nächste Bus kommt?“, fragte der junge Mann zögerlich, als er schon einige Zeit neben ihr an der Bushaltestelle saß. Die Frau, die er ansprach war gut zwanzig Jahre älter als er. Sie hätte seine Mutter sein können. Ob er wohl deshalb bereit war sich ihr anzuvertrauen? Schließlich musste es seltsam klingen, da doch dort ein Plan hing. Nein, sie würde ihn nicht verspotten, wohl nicht einmal schief ansehen, weil er nicht in der Lage war diesen dummen Plan zu verstehen.

„Es kommt immer wieder einer. So genau kann das niemand sagen“, antwortete sie kryptisch. Sie sah ihn nicht an, aber auch nicht über ihn hinweg.

„Aber dort hängt ja ein Plan. Also muss es doch auch vorgesehene Ankunftszeiten geben“, versuchte er auszuführen.

„Haben Sie sich den Plan denn angesehen?“, fragte sie milde.

„Ja, aber ich habe ihn nicht verstanden“, musste er nun doch eingestehen, und er stellte fest, dass ihm das Eingestehen gar nicht schwer fiel.

„Er gilt auch nur für Menschen, die wissen wo sie hinwollen. Wissen Sie denn wo sieh hinwollen?“, fragte sie weiter.

„So genau nicht. Ich dachte mir, ich fahre einfach einmal weg und sehe wo ich hinkomme“, antwortete er wahrheitsgemäß.

„Dann spielt es doch auch keine Rolle wann der nächste Bus kommt. Ob der oder ein anderer“, entgegnete sie.

„Wohin wollen Sie denn?“, fragte er nun.

„Ich weiß es nicht. Irgendwann habe ich angefangen hier zu warten, auf einen Bus, aber nicht auf irgendeinen, sondern auf einen ganz bestimmten“, sagte sie ernst.

„Und auf welchen?“, fragte er interessiert.

„Wenn er da ist, werde ich es wissen“, antwortete sie voller Überzeugung.

„Wie lange warten Sie denn schon?“, wollte er wissen.

„Ich denke lange, denn alle, die mit mir starteten, sind schon längst woanders. Ganz am Anfang, da fährt man noch gemeinsam, also auch nicht alle. Manche haben schon zu Anfang einen eigenen Bus. Nach etlicher Zeit trennen sich dann die ersten ab, steigen um. Manche steigen immerzu um. Kaum, dass sie den einen Bus verlassen haben, hechten sie schon in den nächsten, um ja nicht auch nur eine Möglichkeit zu verpassen. Andere bleiben in dem einmal gewählten Bus, weil sie nicht aussteigen können. Egal, wo der Bus stehenbleibt, nirgends finden sie einen Anhaltspunkt, einen Punkt zum Anhalten. Und wieder andere, so wie ich warten auf das Besondere, so lange es auch immer dauern mag, auch wenn sie nicht wissen was es ist oder wie sie es erkennen können, aber wenn es so weit ist, dann werde ich es erkennen. Ich weiß das ganz genau“, ereiferte sie sich.

„Dann weiß ich welchen Bus ich nehmen werde“, entgegnete er zuversichtlich.

„Und welchen?“, fragte sie.

„Den nächsten, einfach nur den nächsten. Egal was kommt oder wohin er mich führt, eigentlich ist es doch nirgends besser oder schlechter als woanders, bloß woanders als woanders, aber immer ist es ein Ort, und immer ist es das Gleiche“, meinte er sinnend.

„Wahrscheinlich haben Sie recht“, meinte sie sinnend.

Und als der nächste Bus kam, stiegen sie gemeinsam ein. Es war ein ganz normaler Bus, weil er eben war wie jeder andere Bus auch. Das war es, was er gewollt hatte. Es war aber auch ein ganz besonderer Bus, weil sie in ihm saßen. Das war nur in diesem einen Bus so, und in keinem anderen sonst. Das war es, was sie gewollt hatte.

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