novels4u.com

Life is too short for boring stories

Tschanigraben, das ist ein Ort mit knapp 60 Einwohnern, im südlichen Burgenland nahe Güssing und der ungarischen Grenze gelegen, malerisch, idyllisch und vor allem nicht überlaufen. Dorthin wollte ich fahren, umweltbewusst wie ich nun mal bin, mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Nachdem mir die offizielle Fahrplanauskunft eine Reisezeit von 11 Stunden und 45 Minuten angegeben hatte, immerhin war eine Strecke von 117 km zu bewältigen, wobei ich mich dann doch fragte, ob sie mir da von Seiten des öffentlichen Verkehrs nicht einen Tretzug anbieten wollten, beschloss ich mich beim Servicepersonal dieser Einrichtung persönlich zu erkundigen. Onto fasste seinerseits den Entschluss, sich auf meine Schulter zu setzen und war auch weiters nicht dazu zu bewegen, diesen Platz wieder zu verlassen, so dass ich ihn mitnahm.

Wenige Minuten später betrat ich den Bahnhof. Menschen machten mir höflich Platz und ich war erfreut, aber auch positiv überrascht, so vielen netten Leuten zu begegnen. Onto folgte meinem Beispiel und bedankte sich mit einem laut vernehmlichen Krächzen. Wir stellten uns in der Schlange der Wartenden vor dem Schalter an, die sich aber von einem auf den anderen Moment in Luft auflöste. Möglicherweise hatten sie es sich anders überlegt, dachte ich noch, doch da war ich auch schon an der Reihe. Der ÖBB-Bedienstete sah starr in seinen Computer, als ich ihm mein Anliegen vorbrachte.

„Da müssens nach Wien, von dort bis Güssing, und schon am nächsten Morgen könnens nach Tschanigraben“, meinte er, „Vorteilscard?“

„Ja“, sagte ich gehorsam.

„Normal oder Senioren?“, fragte er weiter.

„Senioren“, antwortete ich, doch nachdem er seinen Blick immer noch nicht vom Bildschirm abwandte, ging der Witz ins Leere.

„Macht € 9,40“, sagte er knapp.

„Und ich möchte noch meinen tierischen Gefährten mitnehmen“, ergänzte ich.

„Um was für ein Tier handelts sichs denn?“, wollte der Beamte wissen.

„Einen Kolkraben“, antwortete ich kurz und bündig.

„Kleine, ungefährliche Tiere sind in einer entsprechenden Transportbox mitzunehmen und kosten nix“, leierte er seine Vorschrift herunter, um sich dann doch endlich zu bequemen, mir einen Blick zuzuwerfen. Inhaltsleer war dieser, bis er Onto sah. Man konnte sein Erwachen aus der Lethargie des Alltäglichen live miterleben.

„Ist er das?“, fragte der Uniformierte.

„Das ist er“, bestätigte ich, „Vielleicht ist er nicht klein, aber sicher ungefährlich und ich stecke ihn ganz bestimmt nicht in eine Transportbox.“ Onto bestätigte meine unerschütterliche Entscheidung mit einem herzhaften Krächzen, womit er wohl auch zum Ausdruck brachte, was er allein von dem Gedanken hielt, in eine enge Box gesteckt zu werden. „Außerdem fahre ich sicherlich nicht nach Tschanigraben, wenn ich über 11 Stunden dafür brauche.“ Hocherhobenen Hauptes und gestraffter Schultern, schon alleine wegen Ontos Verweilen auf einer derselben, verließ ich den Bahnhof, wobei wiederum alle zurückwichen. Vielleicht lag es doch nicht daran, dass sie so höflich waren. Auf jeden Fall wird einem der Wunsch, sich ökologisch vorbildlich zu verhalten, nicht unbedingt leichtgemacht. Während ich noch darüber nachdachte eventuell zu Fuß nach Tschanigraben zu gehen, drängte sich ein anderer Gedanke auf. „Wieso fahre ich eigentlich nach Tschanigraben?“ Um nicht allzu vielen bis gar keinen Menschen zu begegnen, musste ich doch nichts weiter tun, als im nahegelegenen Wald spazieren zu gehen. Es war Freitag Nachmittag und die Menschen waren einkaufen oder shoppen. Je nach Warengattung. Was das alles mit dem Onto und dem Logos und deren Trennung zu tun hat? Sehr viel, denn während all die anderen Menschen sich in klimatisierten, künstlich beleuchteten Shoppingcentern herumtreiben, um viele Dinge zu kaufen, die noch mehr Ressourcen in Anspruch nehmen, Dinge, die sie gar nicht brauchen, um sie baldigst wieder zu entsorgen, was wiederum die Umwelt belastet, denken sie, dass sie der Wirtschaft was Gutes tun, wenn sie sich überhaupt etwas denken. Und wer braucht schon eine Umwelt, wenn es die Wirtschaft gibt? Am Abend macht man es sich dann vor dem Fernseher gemütlich, ermattet von aller sinnlosen Tätigkeit, um schockiert darüber zu sein, dass der Regenwald brennt. Dann geht man schlafen. Das alles ändert zwar nichts. Muss es aber nicht, denn schließlich geht es uns ja gut. Und man kann sich nicht um alles kümmern. Es genügt sich um das zu kümmern, was uns selbst angeht. Da ist man vollauf beschäftigt.

Hier gehts zu Teil 4

Buchempfehlungen zu Veganismus & Tieren:

Vegan ist Körperverletzung & Die Zukunft ist vegan hier ansehen

Tiergeschichten hier ansehen

Niemand weiß, wohin es ihn trägt hier ansehen

***

2 Gedanken zu “Rabe Onto (3): Heute fahren wir nach Tschanigraben

  1. oma99 sagt:

    ja, ein Kampf gegen Windmühlenflügel ist der Versuch etwas gegen den Untergang unser aller Lebensraumes zu tun.
    Der Lebensraum um uns herum, unseres Landes, Kontinents, unserer Erde. Mehr und mehr schauen wir zu und betreiben, ohne zu denken, den Untergang…
    Wir schimpfen über die Krähen in den Städten, deren Lebensräume am Stadtrand und im umliegenden Gebiet wir immer mehr vereinnahmen und die Krähen/Rabenvögel zwingen in den Städten nach einem neuen Lebensraum und auch Nahrung zu suchen. Wildtauben geht es ähnlich – wir finden sie mittlerweile tief in den Städten, die sie sich mit den Nachkommen der gestrandeten Brieftauben teilen, welche Häuser als Felsenersatz benötigen, indem sie die wenigen Bäume/Hecken/Parks und hin und wieder mal eine Nische an einem Haus besiedeln.
    Wildschweine, Wildkatzen – die Paar die es noch oder wieder gibt, viele anderen kleine Wildtiere sind gezwungen mehr und mehr in die Städte zu gehen… Hier werden sie bekämpft, verflucht, verteufelt und gequält, getötet.

    Menschen die nicht bereit sind auch nur auf ein Stück Fleisch in der Woche zu verzichten, geschweige denn ganz darauf zu verzichten, machen den Lebensraum der Tiere unbrauchbar und damit auch mehr und mehr den Lebensraum, welchen sie selber benötigen. Plastik und Beton, Strassen, immer mehr Baustellen, immer weniger grüne Blühflächen und immer mehr Steingärten des Grauens…

    Nein, uns geht es gut – sollen andere etwas tun, denn die anderen, die sind ja Schuld am Untergang der Welt…

    Liebe Daniela, kann es sein, das wir ähnliche Verweiflung empfinden???

    danke für die anrührende und nachdenkliche Geschicht um und mit Onto, dem Logos fehlt…

    1. novels4utoo sagt:

      Ja, ganz genau. Ich habe, während ich Deinen Kommentar las, die ganze Zeit gedacht, ja, genau so ist es. Aber ich sehe auch viel Positives. Mein Gedanke war, nach einem Seminar über Ernährungssouveränität, die Revolution muss von dort kommen, wo unser Leben kommt, aus der Landwirtschaft, aus der Ackerfurche. Es gibt mittlerweile einige Bauern (und es gibt auch eine Frau, die da mithilft), die umstellen, sei es auf Permakultur, vegan, biologisch und sich von den sog. Interessensvertretungen nichts mehr vorschreiben lassen. Es ist so vieles möglich. Es wird einem nur so verdammt schwer gemacht, von den Oligarchen, die ihre Felle davonschwimmen sehen. Und die Menschen lassen sich immer noch so viel einreden. Verzicht auf Fleisch? Ich weiß, wie Du es meinst. Ich würde ihnen so gerne verständlich machen, wie befreiend es ist, wenn man sagen kann, man hat Huhn mit Reis und das bedeutet, dass ich mit dem Hühnchen neben mir meinen Reis teile. Wie schön dieses Miteinander sein kann, wie schön, leben zu lassen und dieses Leben sich entfalten sehen. Aber wie soll das gehen, wenn dem Onto der Logos fehlt? Danke Dir. Auch Du bist einer dieser wunderbaren Menschen, die mir Hoffnung geben.

Kommentar verfassen

%d Bloggern gefällt das: