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Life is too short for boring stories

Ängste begleiten mein Leben, auch wenn ich mittlerweile gelernt habe mit ihnen umzugehen, so gibt es doch eine, mit der ich nie richtig fertig wurde. Dies hängt wohl auch mit der Konfrontationshäufigkeit zusammen, denn nachdem Frauen statistisch gesehen immer schmalbrüstiger werden, aufgrund der geänderten, vermännlichten Lebenseinstellung, durch diesen schrecklichen, antifemininen Aktionismus, wie ich mir sagen ließ, komme ich selten in die Gefahr dem Objekt meiner Angst zu begegnen. Ich leide also unter der sog. Uberaphobie, der Angst vor Brüsten, wobei sich meine Phobie auf die besonders ausladenden Exemplare des Typus Ubera beschränkt.

Tiefen- und höhenpsychologisch ist dieser Umstand leicht erklärbar, denn ich hatte eine Tante, der ich oft zur Aufsicht übergeben wurde, deren mütterliche Fülle sie gravitätisch vor und um sich trug. Das wäre noch nicht das eigentliche Problem gewesen, hätte sie nicht die fatale Angewohnheit gehabt, jeden herzen zu müssen, wenn sie sich emotional bewegt fühlte. Und sie fühlte sich oft emotional bewegt. Immer noch verfolgen mich diese Bilder, wenn sie die Arme ausstreckte, die Hände um meinen Rücken schloss und verkeilte, so dass es kein Entrinnen gab. Mein Blick, schreckverzerrt auf die Fleischberge, die sich unerbittlich näherten und zwischen denen mein kleines, unschuldiges Gesichtchen unerbittlich vergraben wurde. Mir wurde schwarz vor Augen, als hätte mich das Leben selbst ausgespien zwischen das Sinnbild des Nährens und Versorgens. Klatschend pappten Mund und Nase auf feuchte, glitschige Haut, die nach Knoblauch roch, unzureichend überdeckt von irgendeinem billigen Parfüm. Verzweifelt rang ich nach Luft, doch das führte nur dazu, dass ich mich noch fester andockte. Mit der Zeit lernte ich deshalb das Atmen einfach sein zu lassen, so dass mich des Öfteren eine gnädige Ohnmacht erfasste, was die Tante dazu bewegte von mir abzulassen. Sobald ich der Notwendigkeit beaufsichtigt zu werden entwachsen war, vermied ich es dieser Tante zu begegnen, so gut ich es vermochte, auch wenn ich es niemals wagte den eigentlichen Grund dafür zu nennen. Dieses Erleben liegt zwar schon lange zurück, die Angst blieb jedoch, die Angst erstickt, begraben, erdrückt zu werden.

So geschah es, dass ich eines Tages das große Vergnügen hatte, einem großen Auditorium, bestehend aus einer zahlenmäßig mindestens zweistelligen Menge an Personen, einen meiner subtilsten, wohl auch emotional tiefschürfendsten Texte vortragen zu dürfen. Atemlose Stille herrschte im Raum während ich las und die nach Beendigung des Lesens noch sanft nachschwang. Sowohl meine Zuhörerinnen als auch ich selbst bekamen Gelegenheit diese Schwingungen noch eine Weile auszukosten, durften uns verlieren in den Worten, doch noch vielmehr in den leisen, sanften Zwischentönen, einlassen auf das Ungesagte, Unsagbare zwischen den verzweifelten Umschreibungen des letztlich Unbenennbaren. Und während ich so dastand, wohl auch den kleinen Staubflankerln nachsah, die sich in einem Lichtkegel zusammenrotteten, den uns die untergehende Sonne durch das Seitenfenster zukommen ließ, während meine Gedanken noch schweiften, hierhin und dahin, da brach der Applaus an, zunächst vereinzelt und verhalten, doch im Folgenden anschwellend und wieder versiegend. Alles ist enden wollend. Ich ließ mich noch zu einer kurzen Verbeugung hinreißen, bevor ich meine Sachen zusammenpackte und dem Rand der Bühne zustrebte, als ich sie entdeckte. Ganz hinten hatte sie gesessen, so dass sie meiner Aufmerksamkeit bisher entgangen war, zum Glück, denn hätte ich sie früher wahrgenommen, so hätte ich wohl kein Wort herausgebracht, doch nun, ebenso wie meine Tante vor scheinbar unendlich langer Zeit, und doch in meinem Empfinden gerade eben erst, lag dieser Ausdruck von Bewegtheit und tiefster innerer Ergriffenheit auf ihrem breiten, gutmütig wirkenden Gesicht. Ich spürte es. Ich ahnte es, so dass ich reflexhaft, einen Schritt zurücktrat, als wenn es irgendeine Möglichkeit gegeben hätte dem Kommenden entfliehen zu können. Doch es war unausweichlich wie die Durchführung des nächsten Atemzuges. Unerbittlich schritt sie auf mich zu, wallend, nicht nur das Haar, sondern auch die fleischlichen Ausbuchtungen, die ich auf mindestens Körbchengröße F schätzte.

Mein Blick war starr darauf gerichtet, und sie kamen näher, immer näher. Noch einen Schritt trat ich zurück, doch da erklomm sie bereits das Podium, die Arme wie ausgestreckte Lanzen vor sich hertragend, lang ausgestreckt, nur ein Ziel kennend. Noch einen Schritt zurück. Sie stand nun vor mir. Ich versuchte weiter zurück zu weichen, doch ich stand bereits an der Wand an, und die gab nicht nach. Weder sie, noch der Boden hatten ein Erbarmen. Ach wie sehr hätte ich gewünscht mich von ihnen verschlingen zu lassen, doch sie zeigten sich hart und abweisend. Da lagen ihre Hände auf meinen Oberarmen, die Finger gekrümmt, bereit mich an sich zu ziehen. Und ich sah mich bereits zwischen den Fleischbergen begraben. Es würde das letzte Mal sein. Was für ein Tod. Ertränkt in Mütterlichkeit, doch dann rebellierte mein Körper, als wollte er das Unausweichliche immer noch nicht akzeptieren. Es war ihm ein Bedürfnis etwas zurückzugeben, etwas, das ich nicht hergeben wollte, doch letztlich siegte mein Körper und gab, gab alles was er zu geben hatte, und das Gegebene ergoss sich in einem Schwall über das ausladende Dekolletee, um von dort aus seinen Weg über das Kleid der Dame fortzusetzen, bis es die Schuhe erreichte, überzog sie von oben bis unten, überdeckte Knoblauch- und billigen Parfümgeruch, so dass sie tatsächlich von ihrem Vorhaben abließ und verdutzt an sich hinuntersah, ungläubig und verdrossen. Und ich, ich war zum ersten Mal in meinem Leben froh, dass ich meinen Appetit nicht gezügelt hatte, denn sonst wäre es mir nicht möglich gewesen, als Dank für alle erwiesenen Wohltätigkeiten, den überdimensionalen Milchdrüsen mein Abendessen zu überlassen.

Aus: Alles ganz normal. Geschichten aus dem Leben

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