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Life is too short for boring stories

Antwort auf den offenen Brief eines bekennenden Fleischfressers an die heuchlerischen Veganer*innen

Sehr geehrter Herr Karnivore!

Vielen Dank für Ihr sehr erhellendes Schreiben. Es befruchtet dem interkulturellen Diskurs zwischen Karnivoren und Veganer*innen, wenn man weiß, wie der andere denkt und vor allem, wie er argumentiert. Weiters geht daraus hervor, dass nach wie vor sehr viel Unwissen oder Nicht-Wissen-wollen herrscht, ja das Unwissen oder Nicht-Wissen-wollen das Wissen bei Weitem übersteigt. Das erste grobe Missverständnis, das den gegenseitigen Umgang vehement erschwert, ist der Glaube daran, dass Veganer*innen so etwas wie einen Moralkodex haben, den sie alle, samt und sonders zu befolgen haben, einen von außen vorgegebenen, wie wir es z.B. von Religionsgemeinschaften oder diktatorisch geführten Parteien kennen. Interessant, wie da die eigenen Vorerfahrungen anderen wieder einmal übergestülpt werden, vor allem das hierarchische, paternalistische Denken, dass es unter Veganer*innen nicht gibt und gar nicht geben kann. Und das aus einem sehr wichtigen Grund, dem jeden, der noch unvertraut ist, ins Stammbuch geschrieben sei.

Veganer*innen gehören keiner Religionsgemeinschaft oder Sekte an, auch keiner Partei mit festem Statut. Sie sind so unterschiedlich wie Menschen eben unterschiedlich sind. Es gibt nur eines, was sie grundlegend verbindet: Der Wunsch, so wenig wie möglich Leid zu verursachen. Das bedeutet, das alles unterlassen wird, wofür ein Lebewesen ausgebeutet wird, ganz gleich ob es sich um das handelt, was aus dem Körper kommt oder den Körper selbst. Das ist das Minimum. Und es ist für den Anfang ein großer, wesentlicher Schritt, nicht nur für die persönliche Gesundheit, sondern auch für die Umwelt und damit die Mitmenschen. Veganer*innen dezimieren ihren ökologischen Fußabdruck, indem sie durch den Verzicht auf tierliche Lebensmittel ressourcenschonend agieren. Es ist aber dennoch verwerflich zu fragen, was tun Sie um ihren ökologischen Fußabdruck zu verkleinern. Es ist eine Frage, die zum Nachdenken anregen soll, nicht ein moralischer Vorwurf. Dass es so aufgefasst wird, sagt doch einiges über den, der meint angegriffen zu sein. Woher kommt das? Vielleicht von dem schlechten Gewissen, dass man selbst hat und nun auf andere projiziert?

So zu leben, dass man kein Leid verursacht, ist gänzlich unmöglich, in einer Welt, die alles andere als perfekt ist. So überlassen selbst Veganer*innen ihren Körper nicht Kleinstlebewesen, die ihn angreifen und zerstören. Sie gehen aus dem Haus und bei jedem Schritt kann es passieren, dass Lebewesen zertreten werden, weil man nicht so achtsam auftreten kann. Das ist der ewige Makel. Es kann kein perfektes Leben in einer nicht perfekten Welt geben. Deshalb ergeben sich immer wieder Grenzfälle, wie die Frage ob Haustiere erlaubt sind oder eben Mottenfallen. Haustiere werden ihrer Freiheit, ihrer Entfaltungsmöglichkeiten beraubt und Motten in dieser Falle ihres Lebens. Es gälte einen Weg zu finden, die Motten aus dem Haus zu bekommen, ohne sie zu töten. Für Vorschläge sind wir da immer offen.

Natürlich gibt es kein Leben, das weniger wert ist als das andere, nicht einmal das einer Motte, aber es ist schon merkwürdig, dass sich Menschen um das Wohl von Motten Gedanken machen, die kein Problem damit haben, dass Milliarden von Tieren systematisch ausgebeutet und vernichtet, damit die Erde, die Luft und das Wasser verseucht werden und damit unser aller Lebensgrundlage. Es ist ein Zeichen dafür wie tief der Graben ist zwischen dem eigenen Tun und dem eigenen moralischen Anspruch. Kaum jemand wird sagen, ja ich will, dass andere Lebewesen für mich gequält, ausgebeutet und vernichtet werden, und dennoch wissen Sie, dass es für sie geschieht. Raubbau am Leben für Ihre persönliche Befriedigung. Ich sehe ein, dass man das einmal verkraften muss, und der einfachste Weg ist, von dem Missfallen über das eigene Tun abzulenken, indem man verzweifelt noch die kleinsten moralischen Verstöße anderer heraussucht, um dann selbst in Ruhe so weiterleben zu können, wie man es bisher tat, denn wenn die anderen moralisch nicht perfekt sind, dann muss ich es auch nicht sein.

Veganer*innen sind, ohne es zu sagen oder wohl auch zu wollen, das lebende, schlechte Gewissen derer, die immer noch für sich morden, vergewaltigen und ausbeuten lassen, aber statt diese Art der Verbrechen zu ändern, wenden Sie sich lieber gegen die, die Sie aufrütteln aus Bequemlichkeit und die Gewissheit hinterfragen, dass Sie doch ein guter Mensch sind.

Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag, probieren Sie es einfach aus, starten Sie Ihr veganes Monat. Sie werden sehen, Sie werden sich innerhalb kürzester Zeit fitter, gesünder und voller Energie fühlen, und auch Ihre Frau wird es Ihnen danken, wenn sich Ihre Potenz verbessert.

Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Entdecken,

Ihre Veganer*innen

Aus: Leben & leben lassen. Geschichten von Veganismus und Aktivismus

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