Ein offener Brief eines bekennenden Fleischfressers an die heuchlerischen Veganer
Sehr geehrte Damen und Herren aus Veganien!
Immer wieder und wieder versucht ihr mir ein schlechtes Gewissen zu machen, weil ich Fleisch esse. Dabei esse ich nur ganz wenig, so höchstens einmal am Tag. Und dann nur das vom Nachbarbauern, der es liebevoll zu Tode streichelt. Ich weiß das, ich war dabei, also quasi. Bitte ich lebe ja in der Stadt und der Nachbarbauer ist in Argentinien, aber im Sinne der Globalisierung und der weltweiten Toleranz sind wir doch alle Nachbarn. Jetzt werdet ihr auch noch nationalistisch, ihr heuchlerisches Pack, rassistisch wahrscheinlich gar. Wieder ein moralischer Makel. Und der streichelt seine Tiere ganz liebevoll zu Tode, wie erwähnt. Das habe ich selbst gesehen, also quasi. Er hat es mir gesagt. Ich kann zwar nicht brasilianisch, aber das muss es geheißen haben. Aber das alles brauche ich gar nicht anzuführen, denn die eigentlichen Heuchler seid ihr. Für euch werden vielleicht keine Tiere getötet, aber ich habe es jetzt mit eigenen Augen, mit diesen in meinem Gesicht, gesehen. Und ihr lasst nicht töten, ihr tötet selbst. Das habe ich gesehen, also das kam so. Ich war mit meiner lieben Frau bei einer von euch auf Besuch. Und wie ich mich so umsehe, da entdecke ich es. Ich war zunächst so schockiert, dass ich gar nicht hinzusehen wagte. So verlogen und heuchlerisch. Selbst es aufzuschreiben fällt mir schwer. Ihr müsstet sehen wie meine Hände zittern vor Wut und Scham.
Besagte Dame erzählte gerade meiner Frau, ich höre das so nebenbei, dass wir Fleischfresser die Welt zerstören, das Klima und das Wasser und so, dass wir daran schuld seien, dass die Kinder in Afrika verhungern und so was. Aber das sind doch alles Peanuts gegen das, was ich in dieser Speisekammer entdeckte. Eine Mottenfalle. Eine Lebensmittelmottenfalle, um genau zu sein. Mir schwindelte regelrecht bei dem Gedanken an all die Motten, die in dieser Falle qualvoll verenden. Eltern, Kinder, Alte, ohne Rücksicht auf Verluste. Die armen Mottenbabies, die liebevoll von der Mama gesäugt und großgezogen wurden, hinweggerafft. Familien werden zerrissen und zerstört. Und das von jemandem, der angeblich niemandem Leid zufügen will und kann.
So eine Scheinheiligkeit und Doppelmoral. Anderen vorwerfen, was sie selbst tun. Ich plädiere ja dafür, dass ab jetzt die Wohnungen von Veganern durchsucht werden, und nicht die Ställe von Bauern, die alle die Tiere wie Könige behandeln und ihnen das beste Leben zukommen lassen. Hart arbeitende, traditionsbewusste, gute Menschen sind das allesamt, die dann schlecht gemacht werden. Und von wem? Von Heuchlern und Scharlatanen, die selbst nicht besser sind, kein bisschen. Ja, mehr noch, von anderen was verlangen, was sie selbst nicht tun. Keine Spur von ethischer Integrität, ganz im Gegenteil. Das Glashaus kann ja gar keine intakte Scheibe mehr haben, durch die sie ihre Steine werfen.
Überflüssig zu sagen, dass wir, nachdem ich meine Frau dezent auf diesen Zustand, ja Unzustand hingewiesen hatte, hocherhobenen Hauptes, wenn auch zutiefst enttäuscht, die ungastliche Stätte verließen, denn mit Heuchlern wollen wir nichts zu tun haben. Mit Mördern erst recht nicht. Außerdem muss ich auf mein Herz achten, das meldet sich immer wieder. Und solch eine Aufregung tut nicht gut. Ich nahm dann sicherheitshalber, sozusagen prophylaktisch eine Leberkässemmel zu mir. Das zählt nicht zum Fleisch, auch nicht die normalen Wurstsemmeln. Das ändert nichts daran, dass ich nur ganz selten Fleisch esse. Und das werde ich auch beibehalten. Aber ich bin offen und stehe dazu, nicht so wie ihr Heuchler. Und ich will mit Heuchlern nicht zu tun haben. Ich würde mir das das nächste Mal gründlicher überlegen, bevor ich rechtschaffene Bürger anschwärze. Ich wäre euch sehr verbunden, wenn ihr mir mit euren moralischen Keulen in Zukunft vom Leibe bleibt, vor allem, weil ihr selbst in solch einem moralischen Sumpf sitzt.
Hochachtungsvoll,
ein Fleischfresser

Aus: Leben & leben lassen. Geschichten von Veganismus und Aktivismus