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Life is too short for boring stories

Der erste Schluck vom Bier spülte endgültig die letzten Reste des Weihnachtskaters hinweg. Entspannt lehnte sich Martinique zurück und ließ ihren Blick durchs Lokal schweifen. Endlich war sie entkommen. Natürlich, sie hätte sich den ganzen Trubel und damit auch den Weihnachtskater ersparen können. „Weihnachtskater“, dachte sie amüsiert, und hielt es für ihre höchsteigene Erfindung. Vielleicht war sie das auch, obwohl kaum davon auszugehen war, dass ein Gedanke, der ihr aufgegangen war, nicht schon von jemand anderem vor ihr gedacht worden war. Es war diese Mischung aus Familienwahnsinn und Weihrauch, volksreligiösen Bräuchen und Kommerz, der ihn verursachte. Selbst ohne einen einzigen Schluck Alkohol fühlte sie sich regelmäßig wie erschlagen. Schwindel im Kopf und diese unbändige Wut. Natürlich hätte sie es ändern können. Aber sie wagte es nicht.

Martinique, die tatsächlich so hieß, weil ihre Mutter der Meinung war, dass das Französische edel und stilvoll war, musste diese absonderliche Vorliebe ausbaden. Darüber hatte ihre Mutter keinen Moment nachgedacht, ganz im Gegenteil, sie war überzeugt davon ihr damit etwas Gutes zu tun. Aber das denken Mütter oft und machen es dann völlig verkehrt. Trotz aller Hänseleien, die Martinique in der Schule erdulden musste, machte sie ihrer Mutter keinen Vorwurf. Zumindest was das betraf, da die Tochter klug genug war zu erkennen, dass ihre Mutter einfach nicht anders konnte.

 

„Martinique, meine Süße“, pflegte sie zu sagen, „Durch Deine Herkunft und Dein Umfeld hast Du gewisse Verpflichtungen und Ansprüche zu erfüllen. Was Du sonst denkst, das ist Deine Sache, aber ich bitte Dich inständigst, mach Deiner Familie keine Schande. Das willst Du doch nicht? Du bist doch mein braves Mädchen?“ Ja, sie war das brave Mädchen, und dazu gehörte auch, ihre intellektuellen Fähigkeiten ein wenig hintanzuhalten.

 

„Eine Frau, die zu klug ist“, so eine weitere Weisheit ihrer Mutter, „bekommt keinen Mann, oder zumindest keinen brauchbaren. Die fürchten sich vor zu klugen Frauen. Deshalb schau drauf, dass Du immer hübsch und adrett aussiehst, dann glaubt eh keiner, dass Du allzu klug bist.“

 

Auch daran hielt sich Martinique, und so bekam sie einen Mann, den sie auch wieder loswurde, denn irgendwann, als sie ihn schon längst hatte, tauchte die Frage auf, warum das eigentlich so wichtig war, ein Mann, also ein brauchbarer. Daraufhin zog sie die Notbremse, richtete sich auf und hörte endlich auf sich zu verbiegen. Das war alles, was notwendig war, um den Mann, den brauchbaren, wieder loszuwerden. Er war irritiert und ging. Das führte dazu, dass ihre Familie noch mehr irritiert war. Aber irgendwann fand sie sich damit ab. Da konnte sie nicht auch noch zu Weihnachten aufmucken. Sie spielte mit, auch wenn das bedeutete, dass sie sich einen Weihnachtskater holte.

 

Martinique tat so, als ob sie ihren Blick schweifen ließ, obwohl es einen Punkt gab, von dem sie sich kaum zu lösen vermochte, während ihre Freundinnen munter drauflosquatschten.

 

Lässig lehnte er an der Schank, wie Männer das eben zu tun pflegen. Ab und an hatten sie schon ein Wort gewechselt, nebenbei, unverbindlich. Es war zu wenig um einfach hinzugehen und ihn in ein Gespräch zu verwickeln, aber zu viel um ihn wie einen Unbekannten anzuquatschen. Dabei ging er ihr nicht und nicht aus dem Kopf. Sie hätte es nicht erklären können, aber das musste sie auch nicht. Es war diese gewisse Irritation, die er in ihr auslöste und sie noch Tage danach nicht losließ. Das hatte wohl etwas, das sie beschwingt sein ließ, aber durchaus auch lästig sein konnte. Und er, er schien sie noch nicht einmal zu bemerken. Oder bildete sie sich auch das ein? Sie musste es wissen. Jetzt, sofort und auf der Stelle. Kurzentschlossen schob sie den Stuhl zurück, auf dem sie saß, stand auf, streckte sich, richtete das Kleid und ging hinüber zur Schank, so dass sie neben ihm zu stehen kam. Doch was sollte sie jetzt tun. Sie fühlte seinen Blick auf sich ruhen. Siedendheiß wurde ihr, und der Schwindel im Kopf kehrte zurück, allerdings ein ganz anderer. Nach vorne ging es nicht mehr, nach hinten auch nicht. Verdammt, was sollte sie tun. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. Ja, versinken, das war der Rettungsanker, sie würde sich einfach niedersinken lassen. Eine kleine Ohnmacht, um zu entkommen. Entweder würde sie hart am Boden, auch dem der Realität aufschlagen, oder er würde sie auffangen. Und als sie die Augen schloss, die Knie nachgaben und sie sich damit abzufinden begann, jeden Moment einen durchdringenden Schmerz aushalten zu müssen, da spürte sie warme, starke Hände, eine auf der Schulter, eine auf der nackten Haut ihres Schenkels, knapp über dem Rand ihrer Strümpfe, da das Kleid wohl doch verrutscht war, und es bestand kein Zweifel daran, dass es seine Hände waren, die sie aufgefangen und hochgehoben hatten, hoch- und aufgehoben. Kraft und Stärke spürte sie, aber auch Wärme und Geborgenheit. Es fiel ihr nicht schwer sich einfach anzuvertrauen.

 

Fortfahren mit Ohnmacht (2): Weihnachtskätzchen

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